Stellungnahme der Naturschutzverbände zur geplanten Verlegung der B477 Stand16. November 2000 An den
Stadtdirektor der Stadt Kerpen Anregungen und Beschwerden gemäß §24 der
Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen zum Thema: Verlegung
der B 477 zwischen Elsdorf/Heppendorf und Kerpen/Blatzheim. Erläuterungsbericht
zur Bestimmung der Linienführung gemäß §16 Bundesfernstraßengesetz (FStrG)
einschließlich der Unterlagen nach § 6 des Gesetzes über die
Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) sowie der Verträglichkeitsprüfung
gemäß Art. 6 FFH-Richtlinie und §§ 19c, 19d BNatSchG. Sehr
geehrter Herr Valkysers, gemäß §24
der Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen regen wir folgendes an: Der
Planungsausschuß, der Umweltausschuß und der Rat der Stadt Kerpen möge
bei seiner jeweils nächsten Sitzung folgende Punkte beschließen: Das
Linienbestimmungsverfahren zur B477 soll ruhen, bis ausreichende und den
Gesamtkontext berücksichtigende Unterlagen beigebracht werden.
Insbesondere müssen die Linienbestimmungsverfahren zu den geplanten
Verlegungen der Hambachbahn der Autobahn 4 und der B477 ganzheitlich
betrachtet werden. Begründung: Die im Rahmen der Linienbestimmung vom Vorhabenträger vorgesehenen Untersuchungen und Prüfungen sind weder vollständig noch ausreichend. Sie bedürfen der wesentlichen Ergänzung und Erweiterung. Nach Ansicht der Bürgerinitiativen gegen die Verlegung der A4 ist die Bestimmung der Linienführung aufgrund einer VieIzahl von ungenügend analysierten Sachproblemen und aufgrund der aktuell in Frage stehenden Bedarfsfrage nicht entscheidungsreif. Vielmehr bedarf es vertiefender Untersuchungen, um eine sinnvolle Linienbestimmungs-Entscheidung begründen und untermauern zu können. Die Bürgerinitiativen gegen die Verlegung der A4 regen daher in erster Linie an, das derzeitige Linienbestimmungsverfahren ruhen zu lassen, bis ausreichende Unterlagen in Vorlage gebracht worden sind. Wir bitten um die Berücksichtigung
der nachfolgend aufgeführten Punkte: I.
Vorhabensbegründung Laut
Aussagen des Vorhabensträgers soll mit dem Fortschreiten des Tagebaus
‚Hambach‘ etwa im Jahre 2017 die derzeitige Trasse der B477 erreicht
und damit eine räumliche Verlegung notwendig werden. Der Vorhabensträger
konstatiert damit einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der
bergrechtlichen Zulassung des Tagebaus, der Genehmigung des
Braunkohlenteilplanes 12/1 Hambach, der Zulassung der Verlegung der
Hambachbahn gemäß AEG und der Linienbestimmung der A4 und der
Linienbestimmung der B477. Von daher sind im
Rahmen der Prüfung von Vorhabens- und Standortalternativen zwingend auch
entsprechende Alternativ-Szenarien der Tagebauentwicklung zu berücksichtigen.
Die Fördermengen
im Braunkohletagebau ‚Hambach‘ liegen mit derzeit 30,5 Mio. t/a weit
unter den prognostizierten Mengen. Die alkalihaltige Hambacher Kohle kann
nicht verfeuert werden. Statt dessen wurde die Förderung des auslaufenden
Tagebaus Bergheim um 65% auf 12,8 Mio. t/a erhöht. Es erscheint daher höchst
zweifelhaft, ob die heutige Bahntrasse zu dem vom Vorhabensträger
erwarteten Zeitpunkt erreicht wird. Im ersten Quartal wird der Bagger 288
mit einer Tagesförderleistung vom 240.000
Tonnen pro Tag aus dem Tagebau Hambach abgezogen und nach Garzweiler
verbracht. Das wird unmittelbare zeitlich-verzögernde Auswirkungen auf
den Fortschritt von Hambach haben. Daneben machen die gravierenden
Änderungen der energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen es zunehmend
wahrscheinlich, dass die gesamte Braunkohlenplanung eine grundsätzliche
Änderung erfährt. Z.B. ist durchaus nicht auszuschließen, daß
Rheinbraun in 10 Jahren den Tagebau nicht weiterführt, da die
wirtschaftliche Grundlage fehlt. Diese Unsicherheiten sind zwingend im
nachfolgenden Linienbestimmungsverfahren zu berücksichtigen. Eine
irreversible Festlegung auf bestimmte Trassenvarianten der B477, die sich
ausschließlich auf die fragwürdige Planungsoptionen von Rheinbraun stützt,
darf es nicht geben. Ebenso wenig
darf dem Vorhaben ein präjudizierende Wirkung
im Hinblick auf eine mögliche Fortführung des Tagebaus Hambach zukommen.
Wenn z.B. die B477 verlegt würde, griffe das dem dritten Rahmenbetriebsplan
von Hambach (2020-2045) vor und hätte Signalwirkung für das Abbaggern
von Manheim und die städtebauliche Entwicklung der Ortschaft Heppendorf. Der
Untersuchungsrahmen sollte zudem auf das gesamte Gebiet des noch nicht
zugelassenen Rahmenbetriebsplans 3 des Tagebaus Hambach und auf die Flächen
des Hambacher Forstes (südlich) der A4 ausgedehnt werden, da durch die
Zerschneidung des Manheimer Steinheide das einzige Naherholungsgebiet der
Region vernichtet wird. Die Ortschaft Heppendorf würde durch die bei
allen zur Diskussion stehenden Varianten der Trassenführung der B477 in
eine nicht zu akzeptierende Lage geraten (B477, unmittelbar durch
Heppendorf fließender Ersatzverkehr von Elsdorf zum Industriegebiet
Sindorf-West, Autobahnanschluß Kerpen). Insbesondere wird auch darauf
verwiesen, dass derzeit keine abschließende Entscheidung über die Klage
des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland LV NW e.V. (BUND) gegen
das Bergamt Düren wegen der Zulassung des Rahmenbetriebsplanes zur
Fortführung des Tagebaus Hambach bis zum Jahre 2020 gefallen ist.
Vielmehr hat der BUND gegen das Urteil vom 10. November 1999 einen Antrag
auf Zulassung der Berufung eingereicht. Auch wird im folgenden
Planfeststellungsverfahren vorrangig zu prüfen sein, ob der
verlegungsbedingte Eingriff – auch unabhängig vom letztendlichen
Standort – wegen der ursächlichen Abhängigkeit des Eingriffs vom tatsächlichen
Fortschreiten des Tagebaus grundsätzlich vermieden werden kann (§ 4 (4)
LG NW). II.
Trassenführung Der Vorhabensträger postuliert in seinem Vorschlag zum Untersuchungsumfang, dass aufgrund einer Voruntersuchung bestimmte Trassenführungen von vornherein aus Umwelt-, ökonomischen und technischen Gründen ausscheiden. Die Naturschutzverbände weisen noch einmal nachdrücklich darauf hin, dass die Unterrichtung über den geplanten Untersuchungsumfang der Umweltverträglichkeitsprüfung nach Inhalt und Umfang nicht als eine Vorwegnahme des anschließenden Zulassungsverfahrens durchgeführt werden darf (vgl. Ziffer 0.4.3 UVPVwV). Gem. § 6
(4) Nr. 3 UVPG müssen alle Standort- sowie Vorhabenalternativen Bestandteil
der UVP sein. Die seitens der Vorhabensträgers
getroffene Vorauswahl und Priorisierung der sog. ‚Variante 4‘ ist
deshalb unzulässig. Ökonomische
Gründe sind bei der Bewertung sowohl der Umwelt- als auch der FFH-Verträglichkeit
unerheblich. Aus den o.g. Gründen ist die Prüfung der Nullvariante, d.h.
das Verbleiben der B477 auf der derzeitigen Trasse zu prüfen. III.
Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der Umwelt
Entsprechend
der o.a. Notwendigkeit der Untersuchung aller vorgeschlagenen Varianten in
der UVP ist der vorgesehene Untersuchungsraum entsprechend zu vergrößern.
Das Untersuchungsgebiet ist grundsätzlich anhand des tatsächlich möglichen
ökologischen Beeinflussungsgebietes, einschließlich der Flächen des Hambacher Forstes im noch nicht zugelassenen
Rahmenbetriebsplan 3 des Tagebaus Hambach I abzuleiten und darf nicht auf
einen Korridor, ohne Berücksichtigung dieser Flächen
reduziert werden. Die außergewöhnliche
floristische und faunistische Bedeutung der Steinheide mit
Altwaldbeständen und hohem Totholzanteil müssen bei der Bewertung der
Umweltverträglichkeit einer Verlegung der B477 ganz besonders berücksichtigt
werden. Der tagebaubedingte irreversible Verlust solcher Lebensräume in
der Region einschließlich der natürlich gewachsenen Waldböden (sehr
hohe Lebensraumbedeutung) bedeutet
einen schon jetzt nicht ausgleich- oder ersetzbaren Eingriff in Natur und
Landschaft. Diese Vorschädigungen des Naturraumes und diesbezügliche
Wechselwirkungen sind im Rahmen der UVP angemessen zu gewichten. Auch müssen
die Wechsel- und Summationswirkungen im Kontext
mit den durchgeführten Sümpfungsmaßnahmen bei der Manheimer
Steinheide und dem Hambacher Forst berücksichtigt werden. Hinsichtlich
des konkreten Untersuchungsumfanges schlagen die Bürgerinitiativen gegen
die Verlegung der A4 daher
vor: •
Biotoptypenkartierung
nach dem LÖBF-Schlüssel; zusätzlich hierzu räumliche Konkretisierung
von Lebensraumtypen der FFH-RL im Sinne des FFH-Handbuchs des Bundesamtes
für Naturschutz bzw. des ‚Interpretation manuals‘ der EU-Kommission. •
in – aus
ökologischer Sicht – höherwertigen Lebensräumen sind zusätzlich
Aussagen zur vorkommenden Pflanzengesellschaft vorzulegen. Hierzu sollte
eine pflanzensoziologische Aufnahme der einzelnen Bestände erfolgen. Eine
etwaige Sonderstellung z.B. der Laubwaldbereiche innerhalb der Kölner
Bucht (Vorkommen sonst fehlender Waldtypen) sollte aufgrund der
Bestandserfassung ableitbar sein. •
punktscharfe
Kartierung von Tier- und Pflanzenarten des Anhangs II der FFH-RL sowie von
Vogelarten des Anhangs I der VSchRL sowie bedrohter Zugvogelarten i.S. von
Artikel 4 (2) VSchRL. Methodik: ðSäugetiere: Fallenfänge zur überschlägigen
Erfassung der Kleinsäuger in den unterschiedlichen Biotopkomplexen, ca. 5
Detektor- ðVögel: flächendeckende
qualitativ/halbquantitative Kartierung der Brut ðAmphibien: Kartierung der Laichvorkommen von
Amphibien mit einer Quantifizierung der Populationsgrößen. Zudem sollten
auch ðweitere Anhang II-Arten der FFH-RL: insbesondere
ein etwaiges
Vorkommen des Hirschkäfers sollten detailliert untersucht werden
(Kartierung von
Flugbereichen bzw. potenziellen Lebensräumen der Art). ðaus Sicht der Bürgerinitiativen gegen die
Verlegung der A4 ist der ökologische Das Ergebnis dieser Betrachtungen, die im Detail
gern mit dem Z.B. auch für
das Schutzgut ‚Boden‘ sollten neue Untersuchungen nach aktuellen
Standards (zumindest im Maßstab 1:5.000) erfolgen. Ein Rückgriff auf
allgemein zugängliche Daten, u.a. die Bodenkarte 1:50.000, ist
unzureichend. •
Alle
potenziellen FFH-Gebiete müssen in eine vollwertige FFH-Verträglichkeitsprüfung
einbezogenen werden. Den Ausführungen des Vorhabensträgers, wonach z.B.
für das potenzielle FFH-Gebiet DÜR 3 (‚Reste des Hambacher Forstes‘)
eine geringere Untersuchungstiefe ausreiche, muss vehement widersprochen
werden. •
Die beiden
potenziellen FFH-Gebiete ‚Lindenberger Wald‘ und ‚Steinheide‘ gehören
in die fachliche Kulisse der von der LÖBF/LAfAO aufgestellten Tranche 2.
Innerhalb dieser Kulisse finden derzeit Kartierungen statt, deren Methodik
noch umstritten ist. Unabhängig davon haben die NRW-Naturschutzverbände
ihrerseits bereits 1998 diejenigen Gebiete nach Brüssel gemeldet, welche
die fachlichen Kriterien der FFH-RL erfüllen. Da von dem geplanten
Vorhaben eine erhebliche Beeinträchtigung all dieser potenziellen FFH-Gebiete zu erwarten ist, ist eine
vollwertige FFH-Verträglichkeitsprüfung auch bezüglich dieser Flächen
durchzuführen. •
Auch die
Arten und Lebensräume des Anhanges IV der FFH-RL sind in der FFH-Verträglichkeitsprüfung
zu berücksichtigen. Wir bitten alle
Parteien diesen Antrag zu unterstützen. |