zurück
zum 2001er Pressearchiv Hambach,
Autobahn 4
Der
sterbende Ort zieht Ratten und Plünderer an
Nur
neun Familien wohnen noch im alten Etzweiler, während die Bagger immer näher
kommen
Manche
wollen weiterhin ausharren
Von Oliver Tripp
Elsdorf-Etzweiler. "Ist es nicht herrlich hier", freut sich
Willy Hoffmann über die Ruhe vor seiner Haustür. Die genießt er, auch
wenn er weiß, dass sich nur wenige hundert Meter weiter der Bagger durch
den Hambacher Forst in Richtung Etzweiler frisst.
Im warmen Wohnzimmer von Familie Hoffmann, direkt unter dem Dach des
Mehrfamilienhauses an der Waldstraße, leuchten die Kerzen des
Weihnachtsbaumes. Es ist gemütlich, aber eng. Nachdem vor zweieinhalb
Jahren Tochter Nina geboren wurde, hat Vater Willy das Wohnzimmer mit
einer Wand geteilt. Nina sollte ein eigenes Zimmer haben.
Da standen die Wohnungen in den Untergeschossen, ausgestattet für
Familien mit mehreren Kindern, bereits leer. Eine Anfrage beim Hauseigentümer
Rheinbraun, ob die Familie in eine der unteren Wohnungen ziehen dürfe,
sei erfolglos gewesen, sagt Hoffmann.
Zu dem Zeitpunkt waren die Fronten schon abgesteckt. Zu Beginn der
Umsiedlung hatte sich Hoffmann manches nicht gefallen lassen. Eine Sümpfungspumpe,
die auf seinem Grundstück errichtet wurde, hatte er mit dem Hinweis auf
die Verletzung von Eigentumsrechten eingezäunt. Er verweigert bis heute
den Zutritt. Rheinbraun habe mit Drohungen über Schadenersatzklagen in
horrender Höhe reagiert.
Verhandlungen gestalten sich
schwierig
Immer noch feilscht Hoffmann um den Preis von mehreren Garagen an der
Waldstraße, die er im Zuge einer Zwangsversteigerung erworben hatte. Auch
die Verhandlungen über ein Baugrundstück in Neu-Etz~weiler habe man
hinaus gezögert, klagt Hoffmann.
Neben dem Briefkasten prangt ein Schild mit dicken roten Lettern:
"Dieses Haus ist bewohnt." Doch allenfalls harmlose Schaulustige
kann er sich damit vom Leibe halten. Solche, die an einem
Sonntagnachmittag im Garten stehen und der Familie beim Sonnenbaden
zuschauen. Den Garten habe er mit Stacheldraht umzäunt, nachdem mehrmals
Gartenmöbel verschwunden seien, erzählt Hoffmann.
Dreister seien andere, die scheinbar erstaunt durch die Fenster in die Töpfe
schauen: "Ach, hier wohnt noch einer? Ich wollte nur mal
gucken." Schlimmer noch erging es Familie Klütsch. Die ließ den
Feierabend vor dem Fernseher ausklingen, als eine Bildstörung eintrat.
Aber es war kein Defekt am Gerät, sondern es waren Diebe, die versuchten,
die Antenne vom Dach zu stehlen. Etzweiler wird seit geraumer Zeit
regelrecht geplündert.
"Etzweiler ist der größte Baumarkt weit und breit", pflegt
Hoffmann zu sagen. Zuerst waren die Gitterroste an den Kellerfenstern weg.
Hoffmann hat seine mittlerweile mit Metallbändern am Haus festgebunden.
Heizungen, Türen, Fenster, Treppen, Zäune, alles was nicht niet- und
nagelfest ist, werde mitgenommen. An zahllosen Stellen im Ort fehlen sogar
die Gehwegplatten.
Die Grenze des Erträglichen ist seit langem überschritten, denn die
letzten Etzweiler Bürger sind Opfer gezielter Einbrüche und Diebstähle
geworden. "Vor drei Wochen hat jemand versucht, unser Auto zu
stehlen, an der Wegfahrsperre ist er gescheitert. Es war am Vormittag, ich
war sogar zu Hause", erinnert sich Silke Hoffmann.
Im November beklagte Pfarrer Rainer Kalina den Verlust eines über zwei
Meter hohen Holzkreuzes, es hing außen an der Kirche: "Die haben
genau gewusst, wie man das abmontiert." Wenige Tage später versuchte
man, in die Sakristei einzubrechen, die Diebe wurden überrascht und flüchteten.
Der letzte Wirt des Dorfes belädt an einem Sonntagmittag seinen Kombi. Er
rettet die wenigen Elektrowerkzeuge, die Diebe im Saal der
"Waldschenke" haben liegen lassen. "Sie sind über das Dach
eingestiegen", sagt Tansel Sokullo.
Auch beim Spaziergang der Familie Hoffmann am zweiten Weihnachtstag erzählen
die Spuren im Schnee von den Besuchern, die bereits am Morgen hier gewesen
sind. Viele verlieren sich in offenen Hauseingängen von zerstörten
Behausungen. Der Weg führt die Hoffmanns an Steinhaufen vorbei.
Aber auch an Bergen von Haushaltsmüll, den Besucher hier abgeladen haben.
Aus blauen Säcken quillt verschimmeltes Brot. "So eine
Sauerei", entfährt es Silke Hoffmann. Die Ratten sind da. Aber auch
Marder, Spechte oder Eulen, die aus dem enger werdenden Wald fliehen.
Vor der Schredderanlage an der Arnoldusstraße liefern sich die Hoffmanns
eine Schneeballschlacht. Hier schreddert ein Unternehmen im Auftrag von
Rheinbraun Steine aus dem Abbruch des Ortes. Die Arbeit ruht am Feiertag.
"Die Gemeinde steht nicht
hinter uns"
Früher war die Schredderanlage an der Berrendorfer Straße. Dort habe sie
keinen gestört. Rheinbraun habe sie verlegen lassen, in unmittelbare Nähe
der letzten Bewohner. Knapp 50 Meter weiter wohnt eine Familie, die ihr
Grundstück noch nicht verkaufen will. An einen Zufall glaubt Hoffmann
nicht.
"Mama, der Bagger macht bummbumm", seien morgens die ersten
Worte der Tochter, schildert die Mutter. Früher habe Nina rund zwei
Stunden länger geschlafen.
"Der Anstand ist schon lange verloren gegangen", sagt Hoffmann.
Auch die Gemeinde stehe nicht hinter den im Ort verbliebenen Menschen:
"Die nehmen Schilder mit, Bänke, Sachen vom Spielplatz. Am Schützenplatz
wurden Lampen abmontiert, angeblich für den Kindergarten in Oberembt. Später
sah ich einige bei Privatleuten herumliegen." Von sozialverträglicher
Umsiedlung könne da wohl kaum die Rede sein, schimpft Hoffmann.
Seine Familie zieht voraussichtlich Mitte des Jahres den Schlussstrich. Im
neuen Haus am Umsiedlungsort sind bereits die Fenster montiert. Andere
wollen noch ausharren, so der Landwirt Hannes Braun. "Ich habe noch
nicht mit denen verhandelt. Ich bin in zehn Jahren noch da", glaubt
er an einem Abend in der "Waldschenke".
Wirt Tansel Sokullo hingegen hätte lieber heute als morgen eine neue
Gaststätte in Neu-Etzweiler. Doch er hat Schwierigkeiten, sich mit dem
Bergbauunternehmen zu einigen. Grundstücksangebote seien im letzten
Moment zurückgezogen worden. Seinen ehemals eigenen Grund und Boden habe
er von der Firma gemietet. Auf einen Anruf hin kommt der Wirt von
Angelsdorf herüber und öffnet die Kneipe ein paar Stunden für letzten
Bewohner.
Quelle: Kölnische Rundschau 03/01/01
Seitenanfang
|