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Der sterbende Ort zieht Ratten und Plünderer an
Nur neun Familien wohnen noch im alten Etzweiler, während die Bagger immer näher kommen

Manche wollen weiterhin ausharren

Von Oliver Tripp

Elsdorf-Etzweiler. "Ist es nicht herrlich hier", freut sich Willy Hoffmann über die Ruhe vor seiner Haustür. Die genießt er, auch wenn er weiß, dass sich nur wenige hundert Meter weiter der Bagger durch den Hambacher Forst in Richtung Etzweiler frisst.

Im warmen Wohnzimmer von Familie Hoffmann, direkt unter dem Dach des Mehrfamilienhauses an der Waldstraße, leuchten die Kerzen des Weihnachtsbaumes. Es ist gemütlich, aber eng. Nachdem vor zweieinhalb Jahren Tochter Nina geboren wurde, hat Vater Willy das Wohnzimmer mit einer Wand geteilt. Nina sollte ein eigenes Zimmer haben.

Da standen die Wohnungen in den Untergeschossen, ausgestattet für Familien mit mehreren Kindern, bereits leer. Eine Anfrage beim Hauseigentümer Rheinbraun, ob die Familie in eine der unteren Wohnungen ziehen dürfe, sei erfolglos gewesen, sagt Hoffmann.

Zu dem Zeitpunkt waren die Fronten schon abgesteckt. Zu Beginn der Umsiedlung hatte sich Hoffmann manches nicht gefallen lassen. Eine Sümpfungspumpe, die auf seinem Grundstück errichtet wurde, hatte er mit dem Hinweis auf die Verletzung von Eigentumsrechten eingezäunt. Er verweigert bis heute den Zutritt. Rheinbraun habe mit Drohungen über Schadenersatzklagen in horrender Höhe reagiert.

Verhandlungen gestalten sich schwierig

Immer noch feilscht Hoffmann um den Preis von mehreren Garagen an der Waldstraße, die er im Zuge einer Zwangsversteigerung erworben hatte. Auch die Verhandlungen über ein Baugrundstück in Neu-Etz~weiler habe man hinaus gezögert, klagt Hoffmann.

Neben dem Briefkasten prangt ein Schild mit dicken roten Lettern: "Dieses Haus ist bewohnt." Doch allenfalls harmlose Schaulustige kann er sich damit vom Leibe halten. Solche, die an einem Sonntagnachmittag im Garten stehen und der Familie beim Sonnenbaden zuschauen. Den Garten habe er mit Stacheldraht umzäunt, nachdem mehrmals Gartenmöbel verschwunden seien, erzählt Hoffmann.

Dreister seien andere, die scheinbar erstaunt durch die Fenster in die Töpfe schauen: "Ach, hier wohnt noch einer? Ich wollte nur mal gucken." Schlimmer noch erging es Familie Klütsch. Die ließ den Feierabend vor dem Fernseher ausklingen, als eine Bildstörung eintrat. Aber es war kein Defekt am Gerät, sondern es waren Diebe, die versuchten, die Antenne vom Dach zu stehlen. Etzweiler wird seit geraumer Zeit regelrecht geplündert.

"Etzweiler ist der größte Baumarkt weit und breit", pflegt Hoffmann zu sagen. Zuerst waren die Gitterroste an den Kellerfenstern weg. Hoffmann hat seine mittlerweile mit Metallbändern am Haus festgebunden. Heizungen, Türen, Fenster, Treppen, Zäune, alles was nicht niet- und nagelfest ist, werde mitgenommen. An zahllosen Stellen im Ort fehlen sogar die Gehwegplatten.

Die Grenze des Erträglichen ist seit langem überschritten, denn die letzten Etzweiler Bürger sind Opfer gezielter Einbrüche und Diebstähle geworden. "Vor drei Wochen hat jemand versucht, unser Auto zu stehlen, an der Wegfahrsperre ist er gescheitert. Es war am Vormittag, ich war sogar zu Hause", erinnert sich Silke Hoffmann.

Im November beklagte Pfarrer Rainer Kalina den Verlust eines über zwei Meter hohen Holzkreuzes, es hing außen an der Kirche: "Die haben genau gewusst, wie man das abmontiert." Wenige Tage später versuchte man, in die Sakristei einzubrechen, die Diebe wurden überrascht und flüchteten.

Der letzte Wirt des Dorfes belädt an einem Sonntagmittag seinen Kombi. Er rettet die wenigen Elektrowerkzeuge, die Diebe im Saal der "Waldschenke" haben liegen lassen. "Sie sind über das Dach eingestiegen", sagt Tansel Sokullo.

Auch beim Spaziergang der Familie Hoffmann am zweiten Weihnachtstag erzählen die Spuren im Schnee von den Besuchern, die bereits am Morgen hier gewesen sind. Viele verlieren sich in offenen Hauseingängen von zerstörten Behausungen. Der Weg führt die Hoffmanns an Steinhaufen vorbei.

Aber auch an Bergen von Haushaltsmüll, den Besucher hier abgeladen haben. Aus blauen Säcken quillt verschimmeltes Brot. "So eine Sauerei", entfährt es Silke Hoffmann. Die Ratten sind da. Aber auch Marder, Spechte oder Eulen, die aus dem enger werdenden Wald fliehen.

Vor der Schredderanlage an der Arnoldusstraße liefern sich die Hoffmanns eine Schneeballschlacht. Hier schreddert ein Unternehmen im Auftrag von Rheinbraun Steine aus dem Abbruch des Ortes. Die Arbeit ruht am Feiertag.

"Die Gemeinde steht nicht hinter uns"

Früher war die Schredderanlage an der Berrendorfer Straße. Dort habe sie keinen gestört. Rheinbraun habe sie verlegen lassen, in unmittelbare Nähe der letzten Bewohner. Knapp 50 Meter weiter wohnt eine Familie, die ihr Grundstück noch nicht verkaufen will. An einen Zufall glaubt Hoffmann nicht.

"Mama, der Bagger macht bummbumm", seien morgens die ersten Worte der Tochter, schildert die Mutter. Früher habe Nina rund zwei Stunden länger geschlafen.

"Der Anstand ist schon lange verloren gegangen", sagt Hoffmann. Auch die Gemeinde stehe nicht hinter den im Ort verbliebenen Menschen: "Die nehmen Schilder mit, Bänke, Sachen vom Spielplatz. Am Schützenplatz wurden Lampen abmontiert, angeblich für den Kindergarten in Oberembt. Später sah ich einige bei Privatleuten herumliegen." Von sozialverträglicher Umsiedlung könne da wohl kaum die Rede sein, schimpft Hoffmann.

Seine Familie zieht voraussichtlich Mitte des Jahres den Schlussstrich. Im neuen Haus am Umsiedlungsort sind bereits die Fenster montiert. Andere wollen noch ausharren, so der Landwirt Hannes Braun. "Ich habe noch nicht mit denen verhandelt. Ich bin in zehn Jahren noch da", glaubt er an einem Abend in der "Waldschenke".

Wirt Tansel Sokullo hingegen hätte lieber heute als morgen eine neue Gaststätte in Neu-Etzweiler. Doch er hat Schwierigkeiten, sich mit dem Bergbauunternehmen zu einigen. Grundstücksangebote seien im letzten Moment zurückgezogen worden. Seinen ehemals eigenen Grund und Boden habe er von der Firma gemietet. Auf einen Anruf hin kommt der Wirt von Angelsdorf herüber und öffnet die Kneipe ein paar Stunden für letzten Bewohner.

Quelle: Kölnische Rundschau 03/01/01

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