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Aktuelle Presse Mülltourismus
Hausmüll
2005 in die Verbrennung Quelle: Kölnische Rundschau 25/09/00 Karneval im Sommer Wahlkampf in Köln um den Posten des
Oberbürgermeisters »Von
OB verstehen Frauen mehr«, lautete ein Slogan der SPD- Kandidatin Anke Brunn. Er wurde
auf Druck einiger Genossen wegen der Anspielung auf die Tamponmarke wieder zurückgezogen.
CDU-»Fritze« Schramma posiert stadtweit mit Zapfpistole und will anscheinend Sprit im
Rathaus verkaufen, denn »bei diesen Benzinpreisen werfen wir das Geld doch wirklich auf
die Straße«, verkündet er breit grinsend. Barbara
Moritz von den Grünen beeindruckt auf einem Plakat mit einem ihrer Babyfotos, doch durch
den deutlichen Grünstich gleicht sie darauf eher einem Alien. Ihr Spruch: »Zukunft
braucht Spielraum«. Erhofft sie sich ihre Stimmen aus dem All? Der
FDP-Mann Ralph Sterck eifert seinem Vorbild Jürgen Möllemann nach. In einem
durchsichtigen Container in der Innenstadt versuchte er tagelang, die Passanten auf sich
aufmerksam zu machen. So konnte man ihn rund um die Uhr beobachten - Zladdi läßt
grüßen. Eigentlich
war schon im September 1999 wie in ganz Nordrhein-Westfalen die Wahl des
Oberbürgermeisters. Erstmals nach 43 Jahren SPD-Herrschaft gewann die Kölner CDU mit
ihrem Kandidaten Johannes Jakob »Harry« Blum am 12. September die Kommunal- und
OB-Wahlen. Die CDU gewann 43 Sitze (+10 Sitze gegenüber der Kommunalwahl 1994), die SPD
kam dagegen nur noch auf schwache 29 (-13), die Grünen erreichten 15 (-1), die FDP 4
(+4), die PDS war erstmals im Kölner Rat mit zwei Sitzen vertreten, und die Republikaner
gewannen einen Sitz. In der Hauptwahl für den OB verfehlte Blum mit 48,1 Prozent nur
knapp die benötigte absolute Mehrheit vor der Grünen Anne Lütkes mit 32,1 Prozent. In
der folgenden Stichwahl gewann Blum mit fünf Prozentpunkten Unterschied. Die
Wahlbeteiligung war von 79 (1994) auf katastrophale 45,8 Prozent gesunken. »Mitschuld«
an dem miserablen Wahlausgang für die SPD trug die kleine alternative Zeitung Kölner
Woche, die einen illegalen Aktien-Deal von Klaus Heugel (SPD), dem klaren Favoriten auf
das höchste Kölner Amt, aufgedeckt hatte. Deshalb mußte Heugel kurzfristig
zurücktreten, die SPD stand ohne Kandidaten da. Doch Harry Blum blieb nur ein knappes
halbes Jahr in seinem Amt, bis er mit Herzrhythmusstörungen ins Krankenhaus kam und kurz
darauf starb. Hinter
dem jetzigen Wahlkarneval verbirgt sich eine knallharte und korrupte Politik der großen
Parteien. Im März dieses Jahres (junge Welt berichtete) stimmte
der Kölner Rat einem dubiosen Leasing-Deal mit den städtischen Klärwerken und Kanälen
zu. In dem umstrittenen Geschäft wurden die »Kloaken« im Wert von 1,2 Milliarden DM
für 25 Jahre von einer Briefkastenfirma auf den Cayman-Islands/Karibik geleast und dann
sofort wieder von der Stadt zurückgemietet. Das Vertragswerk selbst bekamen die
Ratsmitglieder nicht zu Gesicht. Es gab weder eine öffentliche Ausschreibung noch
eine öffentliche Diskussion. Auf Grund eines offenen Briefes vom Kölner Netzwerk gegen
Neoliberalismus an die Ratsmitglieder, stimmten immerhin einige der Grünen gegen die
Verträge, ein SPD-Mitglied und der Republikaner enthielten sich. Die PDS hatte sich von
vornherein gegen den Vertrag ausgesprochen. Jörg Detjen (PDS) begründete dies mit dem
»totalen Ausschluß der Öffentlichkeit und fehlender Ausschreibung«. Letzte
Woche hat der Rat in einer Sondersitzung die Privatisierung kommunaler Betriebe weiter
vorangetrieben. Die Firma Trienekens bekam den Zuschlag für den Kauf von 49,9 Prozent der
neugegründeten Abfall-Wirtschaftsbetriebe GmbH (Müllabfuhr und Straßenreinigung), den
Rest der Anteile hält die Stadt Köln. Unterstützung erhielten CDU und FDP von der SPD:
Obwohl deren OB-Kandidatin Brunn das Vertragswerk mehrfach in Frage gestellt hatte,
verhalf die SPD dem schwarz-gelben Bündnis zu den entscheidenden Stimmen. Grüne und PDS
forderten, die Privatisierungspläne aufzugeben. Es sei nicht klar, so Barbara Moritz
(Grüne), »ob der Verkauf nicht doch ausgeschrieben« werden müsse. Sie schlug vor, eine
rein kommunale Abfallgesellschaft unter dem Dach der Stadtwerke zugründen. CDU-Chef Bietmann besteht darauf: »Der
Verkauf der Anteile an Trienekens ist eine Entscheidung zugunsten der kleinen Leute, weil
die Gebühren stabil bleiben.« Das aber ist schlichtweg falsch. Schließlich sind die
Gebühren seit der Privatisierung - an der Müllverbrennungsanlage ist Trienekens zu einem
Viertel beteiligt - um insgesamt 60 Prozent gestiegen. Zudem bot mit der Firma
Rethmann ein anderer Interessent 100 Millionen DM - immerhin 40 Millionen DM mehr als
Trienekens. Trotz einer EU-Richtlinie gab es auch in diesem Fall keine
Ausschreibung. FDP-Chef Sterck warb weiter für Trienekens: »Wenn man sich nach acht
Jahren Verlobung entscheidet zu heiraten, sucht man sich keine neue Braut.« Trienekens,
ein Tochterunternehmen der RWE, ist innerhalb der letzten Jahre vom mittelständischen
Unternehmen in Köln und im Rheinland zum Müllmonopolisten aufgestiegen. Überall
versucht sich die Firma einzukaufen - meist erfolgreich. Angesichts dieser Konstellation
verspricht Anke Brunn: »Mit mir als OB wird es keinen Verkauf des Tafelsilbers geben.«
Damit allerdings steht sie gegen die Politik der eigenen Partei. Quelle: Junge Welt 29/08/00 Müll-Streit - Hardy Fuß: Politisch einwandfrei Erftkreis
- "Solange Herr Fuß auf der Gehaltsliste von Trienekens steht, kann die SPD kein
guter Ratgeber sein." Dieses Zitat der Vorsitzenden der FDP-Kreistagsfraktion Anne
Schmitt-Sausen im "Kölner Stadt-Anzeiger" brachte gestern den Vorsitzenden der
SPD-Kreistagsfraktion Hardy Fuß gehörig auf die Palme. Fuß, der Geschäftsführer bei
einer Tochter des Entsorgungsunternehmens ist, stellte fest: "Es
gibt keine Zusammenhänge zwischen meiner beruflichen Tätigkeit und Entscheidungen der
SPD-Kreistagsfraktion in Sachen Müllverbrennung." Müllentsorgung
kostete 43,8 Millionen Mark Trienekens und Landrat verhandeln Quelle: Kölnische Rundschau 15/06/00 Abfall-Verbrennung
gestoppt Erftkreis - Streit um die Müllentsorgung
gibt es zwischen Landrat Werner Stump und der SPD-Kreistagsfraktion. Denn Stump hat zum
31. Mai verfügt, die Entsorgung von Gewerbemüll aus dem Erftkreis in Verbrennungsanlagen
vorerst zu stoppen. Quelle: Kölner Stadt Anzeiger 15/06/00 Landrat stoppt Müllverbrennung Quelle: Kölnische Rundschau 12/06/00 Das Duale System
der Abfallverwertung ist teuer und bringt ökologisch nur wenig. Verpackungsmüll lässt
sich auch intelligenter verwerten Von Fritz Vorholz Merkwürdig:
Manchmal mausern sich Errungenschaften, die ungestraft als "wahn- und
widersinnig" gebrandmarkt werden dürfen, zu wahren Exportschlagern der Deutschland
AG. Zu diesen Errungenschaften zählt der Grüne Punkt, der hierzulande Cola-Dosen,
Pizza-Schachteln und Jogurtbecher ziert. Doch während der Bochumer Innovationsforscher
Erich Staudt der Duales System Deutschland AG (DSD) das unschöne Attribut verpasst, freut
sich der DSD-Vorstandsvorsitzende Wolfram Brück über immer mehr Freunde seines Grünen
Punktes, auch jenseits der deutschen Grenzen. Als zehnte Nation kopiert gerade Lettland
die hiesigen Paragrafen zur getrennten Sammlung und Verwertung von Verpackungen, das
"weltweit komplizierteste Müllsystem", wie die Financial Times urteilt. Eine "positive
Entwicklung", gratuliert Wolfram Brück den Balten zu ihrem Nachahmungseifer. Brück hat allen
Anlass, Gelassenheit zu demonstrieren. Denn daheim in Deutschland könnte die Luft für
den Müllmonopolisten bald dünn werden. Der Grund dafür trägt einen Namen: Karl Ihmels,
Landrat des Lahn-Dill-Kreises in Hessen. Seit Jahren liefert sich der promovierte Jurist,
der seine Karriere als einfacher Postbediensteter begann, mit Brück und dessen Grünem
Punkt einen erbitterten Streit um den Verpackungsmüll. "Wenn der Ihmels zu mir ins
Büro kommt, fliegt er sofort wieder raus", zitierte das Handelsblatt schon vor längerer Zeit den
Müllmanager. Ihmels wiederum, der gerade seinen 59. Geburtstag feierte, erklärt die
Nervosität in der Kölner DSD-Zentrale so: "Das geht jetzt in die Weichteile von
denen." Ihmels zeigt dem Grünen Punkt die rote Karte. Deshalb geht es zwischen ihm
und Brück deftig zu. Die Schlacht um den
Müll ist mehr als eine Posse, bei der ein Provinzpolitiker eine umweltpolitische
Institution ankläfft. Jüngst nämlich hat die höheren Weihen der Wissenschaft erfahren,
womit Ihmels die Grüne-Punkt-Verwalter seit Jahren ärgert. Nicht nur, weil der
Sachverständigenrat für Umweltfragen in seinem kürzlich präsentierten Umweltgutachten 2000 einen "erheblichen
Reformdruck" für das Duale System erkannt hat. Nicht nur, weil beim Bundeskartellamt
mittlerweile acht Beschwerden gegen das DSD eingegangen sind und die Wettbewerbshüter
ungeschminkter als früher erkennen lassen, dass ihnen die DSD-Alleinzuständigkeit für
Verpackungen nur "schwer nachvollziehbar" sei. Vor allem hat das Umweltbundesamt
dem alternativen Müllkonzept des hessischen Landrates einen bösen Makel genommen. Bisher
galt es nämlich als ökologisch nicht ganz koscher, das Darmstädter Öko-Institut
prognostizierte sogar, dass bei dem Verfahren krebserregende Stoffe entweichen. Doch das
Umweltbundesamt hat mittlerweile dem Konzept seine Absolution erteilt.
"Grundsätzlich als Endglied einer nachhaltigen Stoffwirtschaft geeignet",
heißt es in einem Bericht des Amtes über die Umweltverträglichkeit verschiedener
Methoden der Abfallbehandlung. Seit Jahren tobt der
Streit um den gelben Sack Gelingt es dem
Müllrevoluzzer Ihmels, mit dieser Unbedenklichkeitsbescheinigung Juristen und Politiker
zu überzeugen, wäre das Duale System "erledigt", prophezeit Jürgen Hahn,
Leiter der Abfallabteilung des Umweltbundesamtes. Er hält Ihmels Konzept nicht nur für
"ökonomisch und ökologisch vertretbar", sondern geradezu für
"modellhaft". Diese Anerkennung
verweigert so mancher Müllexperte dagegen der DSD AG, die ihre Existenz der
Verpackungsverordnung des früheren Umweltministers Klaus Töpfer verdankt. Seit Jahren
tobt der Streit vor allem um den Gelben Sack, in dem der ökologisch korrekte Deutsche
24,9 Kilogramm so genannte Leichtverpackungen sammelt - Blechdosen, Milchkartons und
Jogurtbecher zum Beispiel, in der Terminologie des hiesigen Abfallrechts freilich
keineswegs einfach nur Müll, sondern "Abfall zur Verwertung". Allerdings setzt
dieses Recycling die Trennung und Sortierung der Ingredienzien des Gelben Sackes voraus;
und das verursacht immense Kosten ausgerechnet bei der eigentlichen Neuerung des Dualen
Systems, der Erfassung von zuletzt rund 600 000 Tonnen Verpackungen aus Plaste. Für die Sammlung,
Sortierung und Verwertung von einer Tonne Kunststoffverpackungen treiben die DSD-Verwalter
bei den mittlerweile rund 18 500 Lizenznehmern des Grünen Punktes fast 2700 Mark pro
Tonne ein. Die Hersteller und Abfüller von Konsumgütern reichen dies wiederum an die
Verbraucher weiter, die am Ende - fast unbemerkt über die Produktpreise - um rund 1,6
Milliarden Mark pro Jahr ärmer sind. Doch dabei geht es nur um einen Bruchteil ihres
Mülls. Am gesamten Hausmüllaufkommen von schätzungsweise 24 Millionen Tonnen haben die
Plastikverpackungen einen Anteil von weniger als 3 Prozent. Würden die restlichen 97
Prozent genauso teuer entsorgt, wären die Haushalte ein Vermögen los. Dem kleinen
Müllanteil von Plastikverpackungen mit hohem Aufwand hinterherzujagen halten selbst
Umweltschützer für kaum gerechtfertigt. Wegen der Beimischung unzähliger Additive sind
Kunststoffe höchst unterschiedliche Chemieverbindungen, weshalb sich nur schwer
sortenreiner und deshalb hochwertiger Sekundärrohstoff aus ihnen gewinnen lässt. Am Ende
der als ökologisch besonders wertvoll geltenden "werkstofflichen" Verwertung
stehen - selbstverständlich außer vielen neuen Gelben Säcken - nicht selten
"Sargfüße und Parkbänke", wie der Experte Hahn vom Umweltbundesamt
abschätzig bemerkt. Den dafür betriebenen Aufwand bezeichnet er als "völlig
unverhältnismäßig". Wird aber der
Plastikmüll "rohstofflich" verwertet, beispielsweise als Reduktionsmittel in
Hochöfen oder zur Methanolerzeugung, erweist sich der Sammel- und Sortieraufwand als
übertrieben. Zwar würden durch den Verwertungsmix des Dualen Systems durchaus einige
hunderttausend Tonnen Rohöl eingespart, haben Fachleute ausgerechnet, aber zu Kosten, die
einem Heizölpreis von sage und schreibe zehn Mark pro Liter entsprächen. "Außer
Spesen nichts gewesen", lautet deshalb das Verdikt von Johannes Brandrup, dem
mittlerweile pensionierten Umweltfachmann beim Verband der Kunststofferzeugenden
Industrie. Mit solch
akademischer Kritik müssen die Grüne-Punkt-Verwalter schon seit längerem leben - und
sie geloben Besserung. Eine Weltneuheit namens SORTEChnology 3.0 - die Maschine wird bei
der Expo 2000 der Weltöffentlichkeit präsentiert - soll in Zukunft den Sortieraufwand
erheblich senken und das Duale System billiger machen. Überdies verspricht das DSD
sinkende Kosten, wenn in einigen Jahren die Verträge mit den beauftragten
Entsorgungsunternehmen erneuert werden könnten. Der hessische
Landrat Ihmels nervt die Müllverwalter trotzdem, weil er behauptet, schon heute viel
billiger erledigen zu können, was für den Grünen Punkt noch Zukunftsmusik ist.
"Nach dem jetzigen Stand unserer Technik gibt es keinen Grund mehr, den Gelben Sack
beizubehalten", sagt der Landrat nicht unbescheiden. Kein Wunder, dass der
SPD-Politiker, der demnächst wiedergewählt werden möchte, sich von den DSD-Juristen
regelrecht verfolgt fühlt. Tatsächlich
exerziert Ihmels in seinem Sprengel bereits vor, was nach seiner Meinung landauf, landab
mit dem Plastikmüll passieren sollte: rein in die graue Restmülltonne. Mit deren Inhalt
wird im Lahn-Dill-Kreis bereits eine raffinierte Fabrik gefüttert, die eher an eine
Klinik als an einen Müllverarbeitungsbetrieb erinnert. In dieser mechanisch-biologischen
Anlage, von dem Kasseler Universitätsprofessor Klaus Wiemer ersonnen und von dem
mittelständischen Unternehmen Herhof errichtet, wird der Müll getrocknet und fast
vollautomatisch von Metallen und Schwerstoffen wie Keramik, Porzellan oder Batterien
befreit; diese Stoffe werden in den Wirtschaftskreislauf zurückgeschleust. Übrig bleibt
die Hälfte des "Urmülls", eine staubtrockene Mixtur aus Plastik, Papier,
Textilien, Holz, Essensresten und anderen meist biologischen Bestandteilen. Sie hat einen
hohen Heizwert und wurde auf den Namen Trockenstabilat getauft. Die Abfallsubstanz lässt
sich wie Kohle oder Öl lagern, vor allem aber gut verfeuern - und zwar nicht nur in
Müllöfen mit geringer Stromausbeute, sondern auch in Kraftwerken, wo sie dank ihres
hohen Biomasseanteils klimaschonend verbrennt. Probeweise kommt sie heute bereits in den
energiehungrigen Zementöfen der Firma Readymix im brandenburgischen Rüdersdorf zum
Einsatz und wird in einem Blockheizkraftwerk mit dem schönen Namen EVA verbrannt, einer
im hessischen Aßlar eigens errichteten Energetischen Verwertungsanlage. Ein Teil des
Trockenstabilats gelangt auch in das ehemalige DDR-Kombinat Schwarze Pumpe, wo es zu
Methanol vergast wird - übrigens genauso wie rund 100 000 Tonnen Plastik vom Dualen
System, die allerdings zuvor teuer gesammelt und sortiert wurden. Die Deutschen sind
begeisterte Müllsortierer Zwar kostet auch
die Herstellung und Verwertung von Ihmels Trockenstabilat Geld - mit weniger als 200 Mark
pro Tonne sind die Kosten allerdings viel niedriger als die des Grüne-Punkt-Systems. Der
DSD-Müll ließe sich nach der Methode Ihmels locker für die Hälfte der heute üblichen
Kosten mitverarbeiten, heißt es in der Wetzlarer Kreisverwaltung: für 20 Mark pro Jahr
und Bürger statt der jetzt veranschlagten rund 44 Mark. Preisfrage: Geht die Einsparung
auf das Konto der Umwelt? Über die
Trockenstabilat-Fabrik in Aßlar verliert der Abfallexperte Hahn vom Umweltbundesamt nur
anerkennende Worte: "Tolle Abluftreinigung, abwasserfreier Betrieb." Ob die
Verbrennung im Zementofen oder im Blockheizkraftwerk zu bedenklichen Emissionen führt,
ist noch nicht endgültig geklärt. Obwohl das Trockenstabilat weit weniger giftige
Schwermetalle als Hausmüll enthält, werden bei seiner Verbrennung die hierzulande
gültigen strengen Vorschriften für Müllöfen zur Auflage gemacht - es sind die weltweit
mit Abstand schärfsten Emissionsvorschriften für Feuerungsanlagen. Abschließende
Messungen stehen allerdings noch aus. Unbestritten ist jedoch die ökologische
Verträglichkeit der Methanolherstellung im Werk Schwarze Pumpe. Einziger Makel des
Sekundärrohstoff-Verwertungszentrums, das mittlerweile den Berliner Wasserbetrieben
gehört: Gerade weil es ein umweltunschädlicher "Allesfresser" ist, könnten
die Bürger wieder zu ökologischer Bedenkenlosigkeit veranlasst werden und mit den
Rohstoffen asen. Wegen solch
möglicher mentaler Wirkungen hat auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen Skrupel,
trotz der erkannten Defizite für eine radikale Reform des Dualen Systems zu plädieren.
In der Tat haben sich die Deutschen als begeisterte Müllsortierer erwiesen. Neun von zehn
Bürgern trennen brav ihren Müll. Würde die Fragwürdigkeit ihres Tun publik, könnten
sie womöglich ihr ansonsten ohnehin schwindendes Ökobewusstsein ganz über Bord werfen.
Deshalb legt man in der Kölner DSD-Zentrale auch Wert auf die Feststellung, dass die
"popeligen Verpackungen" ja schließlich nur die "Vorreiter der
Kreislaufwirtschaft" seien, wie der DSD-Sprecher Achim Struchholz erklärt. Trotz "Wahn-
und Widersinn": Die Chancen stehen nicht schlecht, dass deswegen und wegen der
Hoffnung auf sinkende Kosten der Grüne Punkt "auch langfristig beibehalten"
wird, wie die Deutsche Bank Research kürzlich in einer Studie über die
Entsorgungswirtschaft mutmaßte. Tatsächlich hält sich bisher der Reformeifer von
Umweltminister Jürgen Trittin in Grenzen. Zwar hat die rot-grüne Regierung in ihrem
Koalitionsvertrag schon vor eineinhalb Jahren versprochen, das Duale System
"ökologisch und ökonomisch sinnvoll" umzugestalten. Doch Trittin offenbarte
bereits der DSD-Hauszeitschrift punkt, der
Grüne Punkt sei "besser als sein Ruf". Bei seinen Reformbemühungen will sich
der grüne Umweltminister nun durch ein Gutachten inspirieren lassen, das er ausgerechnet
bei dem Aachener Ingenieurbüro HTP bestellt hat - es hat die Sortieranlage erfunden, mit
der die Grüne-Punkt-Manager bei der Expo glänzen wollen. Dabei hätte der Umweltminister
doch "was vorzuweisen, wenn er unser Angebot annähme", sagt Karl Ihmels aus dem
Dill-Kreis. Manchmal fällt es ihm schwer, den Lauf der Dinge zu begreifen. Allerdings hat der
Landrat in der Berliner Regierung zumindest einen Förderer: Finanzminister Hans Eichel.
Als der Grundstein für das Blockheizkraftwerk EVA gelegt wurde, erklärte Eichel, damals
noch Ministerpräsident in Hessen: "David hat den Punkt bei Goliath ausgespäht, wo
er ihn treffen kann" - und sicherte Ihmels seine Unterstützung zu. Quelle: Die Zeit 2000 Nr. 16 Haus Forst Kreis will für Region deponieren Quelle: Kölner Stadt Anzeiger 25/03/00 Müllverbrennung Millionen am Kreistag vorbei ? Quelle: Kölner Stadt Anzeiger 25/03/00 Bahnanschluss der
Verbrennungsanlage wird nicht benutzt Nach wie vor bringen Eschweiler. Von
der Politik aus ökologischen Gründen gewollt, erwacht der Bahnanschluss der
Müllverbrennungsanlage nur einmal im Jahr zum Leben: Beim Tag der offenen Tür hält hier
der Nostalgie-Dampfzug. Für den Mülltransport per Bahn fehlen Voraussetzungen. Aller Müll, der in den heißen Schlünden
verschwindet, wird von Lkw angeliefert. Dabei gibt es einen direkten Bahnanschluss für
die Müllöfen. "Wir würden nichts lieber tun, als unseren Bahnanschluss zu
benutzen", sagt Andreas Fries, Geschäftsführer der MVA Weisweiler. Dass die
Müllzüge nicht kommen, kann er nicht beeinflussen. Fries: "Es gibt einen ganzen
Katalog von Gründen, warum der Müll nicht per Eisenbahn zu uns kommt." Die
Umladestellen fehlen Der erste Grund ist wohl, dass bei der Planung der MVA
der Gedanke der Bahnanlieferung aus der Region nicht konsequent zu Ende gedacht wurde. So
gibt es zwar den Bahnanschluss, aber weit und breit keine Sammelstelle, an der
Müllfahrzeuge nach kürzeren Wegen ihre Fracht auf Eisenbahncontainer umladen könnten.
"Die Stadt Köln hat solche Umladestellen, und der Bahntransport zur Kölner
Müllverbrennungsanlage klappt hervorragend." Gäbe es ein klar gegliedertes
Müllkonzept - zum Beispiel für den Regierungsbezirk -, könnten die MVAs in Bonn, Köln,
Leverkusen und Weisweiler zusammenarbeiten und dies dann auch über die Bahn abwickeln,
gibt Fries zu bedenken. Einiges im
Argen Aus Fries' Sicht stimmen auch weiterhin die
politischen Rahmenbedingungen nicht. Da werde Müll zweifelhaft als Wertstoff deklariert,
Deponien verschleuderten ihre Kapazität zu Dumpingpreisen, Spediteure stünden in einem
gnadenlosen Kampf um die billigsten Frachtraten. Auf der Strecke bliebe die Umwelt, denn
Müll werde nicht nur durch die Republik, sondern durch halb Europa gekarrt und dann in
Anlagen ohne Filter verheizt. "Wir versuchen mit der Politik immer wieder darüber ins
Gespräch zu kommen. Wie schwierig das ist, zeigt, dass Umweltministerin Höhn bis heute
auf einen Gesprächswunsch in keiner Weise reagiert hat." Quelle:
Aachener
Nachrichten 5.3.2000 Abfallwirtschaft AWA bietet Fahndern Zusammenarbeit an Die Müllmenge ist gewachsen Quelle:
Kölnische Rundschau 01/03/00 Freier
Wettbewerb gefordert Quelle: Kölner Stadt Anzeiger
26/02/00 Giftmüll als BaustoffWie deutsche Salz- und Kohlegruben teuren Sondermüll billig verbuddeln Von Matthias Brendel Tief unter der Erde geht es bergan. Die Lampen des Wagens werfen ihr Licht auf Wände und Decke, Salzkristalle glitzern zurück. Das Grubenfahrzeug, ein Kleinlaster mit abgesägtem Dach, nimmt eine leichte Kurve. Das Salz wechselt seine Farbe, von schwarzgrau zu schmutzigweiß und zurück. Bisweilen streifen die Lichtkegel kräftige, orange-braun irisierende Adern aus Carnallit, kali- und magnesiumhaltigem Salzgestein. Hunderte Millionen Jahre ist kein Sonnenstrahl darauf gefallen. Nur ab und zu durchbricht ein Scheinwerferpaar die Dunkelheit. Ein Transporter, mit blauen Fässern beladen, nähert sich aus der Tiefe der Grube. Die Unterwelt in der ehemaligen Kaligrube Herfa-Neurode erstreckt sich über 20 Quadratkilometer. Eine Stadt im Salz mit breit angelegtem Straßengeflecht, Wegweisern, Aufenthaltsräumen, 800 Meter unter der Erdoberfläche. Beidseits der Straße stehen rote Ziegelmauern. Dahinter lagert, was die Konsumgesellschaft als gefährlich ausgesondert hat. Herfa-Neurode bei Kassel in Nordhessen ist eine Untertagedeponie, eine Giftkammer der Zivilisation. "Das Gefährdungspotenzial der gesamten chemisch-toxischen Abfälle ist größer als das der radioaktiven Substanzen", behaupten die anerkannten Endlagerexperten und Fachbuchautoren Albert Herrmann und Helmut Röthemeyer. Die beiden schätzen "die Masse der in unterirdischen Hohlräumen zu deponierenden Sonderabfälle" auf 300 000 bis 1 000 000 Tonnen jährlich. Von dieser Giftmüllration schlucken die drei deutschen Untertagedeponien Heilbronn, Zielitz und Herfa-Neurode nur die Vorspeise - etwa 160 000 Tonnen pro Jahr. Davon stammt ein knappes Drittel aus der Schweiz. Wo blieb der Rest? "Unterwegs bitte nicht von den Sitzen erheben", mahnt Betriebsleiter Ralf Boppert. Die Deckenhöhe der Strecke folgt der Mächtigkeit einstiger Kalischichten und schwankt zwischen 2,50 und 2,90 Metern. Nicht umsonst hat die Kali und Salz Entsorgung GmbH das Wagendach entfernen lassen. Manchmal passt kaum mehr ein Schuhkarton zwischen Besucherhelm und Salzdecke. Deren regelmäßige Struktur zeugt von maschinellem Abbau. Im vergangenen Jahrhundert, zu Beginn der industriellen Nutzung von Kali als Düngemittel, haben hier Zehntausende Arbeiter ihr Brot verdient. Der heutige Endlagerbetrieb wird in zwei Schichten von 71 Mitarbeitern erledigt. In einer flächigen Ausbuchtung im Salz hebt ein Gabelstaplerfahrer blaue Fässer von einem Spezialtransporter. Palette um Palette wuchtet er zur gegenüber liegenden Wand und schichtet sie bis zur Decke auf. Die Fässer sollen nun für unabsehbare Zeit im Salz lagern. Das Archiv der eingelagerten Gifte befindet sich nahe dem Fahrstuhl zum Tageslicht. Dort sind Tausende Proben in luftdichten Schraubgläsern auf meterhohen Regalreihen verwahrt. Hellblaue, rosafarbene, tiefgelbe Pulver stehen dort, grobkörnige Substanzen, Metallteile, auch ein kontaminierter Arbeitshandschuh, dessen Artgenossen nun hinter Ziegeln eingemauert sind. Insgesamt zwei Millionen Tonnen toxischer Abfälle, sagt Hartmut Behnsen, Geschäftsführer der Kali und Salz Entsorgung GmbH, wurden hier in den vergangenen 27 Jahren deponiert. 1998 waren es 80 000 Tonnen. Wie viel im Einzelnen an Quecksilber, Cyaniden, Arsenaten, Destillationsrückständen, PCB-kontaminierten Reststoffen, Dioxinen oder alten Pflanzenschutzmitteln wie DDT endgelagert ist, lässt sich schwer ermitteln. Die spezifische Konzentration der Gifte in den angelieferten Fässern oder Weichcontainern, den Big Bags, bleibt im Ungefähren. Fest steht: Rund 95 000 Tonnen quecksilberhaltige Stoffe liegen unter Tage, 80 000 Tonnen arsen- und 120 000 Tonnen cyanidhaltiges Material und 490 000 Tonnen Filterstäube aus Verbrennungsanlagen. Gut zu wissen, was wo steht. "Um die Reaktionspotenziale gering zu halten", sagt Behnsen, wird das Endlagergut nach 20 Stoffgruppen getrennt verwahrt. Entsprechend wird die Endlagerstätte auf den Etiketten der Probengläser vermerkt. Codiert sind Herkunft des Giftmülls, Ankunftsdatum, der vom Anlieferer deklarierte Inhalt und ein hauseigener Laborbericht. Alles mit dokumentenechten Stiften. Bisher achtmal habe man Abfälle wieder ausgelagert, mal wenige, mal bis zu 1000 Tonnen, sagt Behnsen, darunter Dinatrium-Cyanamid, Calciumformiat und Arsentrioxid. "Diese Substanzen ließen sich sinnvoll und wirtschaftlich in Produktionsabläufe einbinden." Für ferne Zeiten ist das Erfassungssystem allerdings nicht gemacht. Gleiches gilt für die Ziegelmauern um das endgelagerte Material. Die Wände werden verfallen. "In mehreren hundert Jahren", sagt Wolfgang Beer, Chefgeologe von Kali und Salz, "wird das Salz die Gebinde vollständig umschlossen haben." Der Berg lebt. Das unaufhaltsame Verpacken im Salz ist eingeplant. Schließlich geht es darum, das Gift für immer von der Biosphäre zu trennen. Die Betreiber sehen sich dabei auf der sicheren Seite. Oberhalb der ehemaligen Kaliflöze liegt eine 100 Meter starke Salzschicht, darüber eine Reihe Tonschichten von gleicher Mächtigkeit. Unterhalb der Deponie liegen weitere 100 Meter Salz. Vor rund 240 Millionen Jahren haben sich diese Schichten aus verdunstendem Meerwasser gebildet, seitdem herrscht hier Ruhe. Zumindest fast: Wolfgang Beer, Mitglied der kleinen Expedition unter Tage, zeigt auf einen etwa 30 Zentimeter starken Ring aus braunem Basalt, der das Salz durchzieht. Vor rund 20 Millionen Jahren hatte dieser Basalt glühend flüssig das Salzgestein durchschlagen. Es kam aus der Tiefe, hat auch den über dem Ton liegenden Buntsandstein durchschnitten und ist schließlich über der Erde zu Kuppen erstarrt. Solcher Basalt könnte eines Tages erneut hochdrücken und das Gift mitreißen. "In den nächsten 10 Millionen Jahren sind hier keine vulkanischen Aktivitäten zu erwarten", beruhigt Beer. Prognosen über 10 Millionen Jahre sind schwierig. Und schwer zu widerlegen. Rascher, als den Menschen lieb ist, könnte jedoch eindringendes Wasser die gefährliche Fracht zurück in die Biosphäre befördern. Wasser ist, geologisch gesehen, ein Sprinter, der sich schnell durch die Erde bewegt. Die Millionen Jahre währende Trockenheit des Salzstocks hat keine Ewigkeitsgarantie. Das eigentliche Sicherheitsproblem in Herfa-Neurode ist jedoch weniger geologischer Natur, sondern Menschenwerk. Gerade hat Ralf Boppert das Lkw-Cabrio vor einer torgroßen Ziegelwand geparkt. "Sie sehen das nicht", sagt Boppert und weist auf die Mauer hinter sich, denn die Erklärung ist ihm wichtig, "aber in diesem Bauwerk steckt das, worauf wir stolz sind." Die Wand scheidet die Deponie von der in Betrieb befindlichen Kaligrube auf der anderen Seite und versperrt damit einen künstlich geschaffenen Weg. Das riesige Grubengelände unter Tage hat eine Fläche von 400 Quadratkilometern, und längst nicht alle Teile davon sind vor Wassereinbrüchen so gut geschützt wie der genehmigte Deponieteil. Die Mauer, auf die Boppert weist, muss darum gegen eventuell andrängendes Wasser halten. 48 Meter ist das Bollwerk tief. 4645 Kubikmeter gegen die Ewigkeit. Weitere potenzielle Schwachstelle des Endlagers ist der 800 Meter lange Transport- und Belüftungsschacht zur Oberfläche. Er ist für eine reibungslose Beförderung von Mensch und Material konstruiert. Nach Stilllegung der Deponie muss aber genau dies verhindert werden. "Wir werden deshalb wohl ein Tonpaket als Dichtungselement in die Schachtröhre einbauen", kündigt Behnsen an. Auch das muss ewig halten. Endgültig gelöst ist das Problem bislang nicht, es wird weiter geforscht. Und dann, nach dem vollständigen Abschluss? Wer wird Explorateure in ferner Zukunft davon abhalten, hier nach Salz zu bohren? Immerhin ist das verbleibende Steinsalz ein förderfähiges Produkt. Seine Erschließung könnte irgendjemandem in zigtausend Jahren attraktiv erscheinen. Was wird diese Kreaturen warnen? Die Weitergabe des Wissens um Herfa-Neurode ist ein Problem. "Wir haben schon ernsthaft überlegt, ob wir die Dokumentation in Stein meißeln", sagt Behnsen. "Auch wir haben die Pyramiden erforscht und ihre Funktion erkannt", wirft der Geologe Wolfgang Beer ein, "nachfolgende Generationen werden ebenso in der Lage sein, Herfa-Neurode als Deponie zu erkennen." Noch ist die Erkundung nicht beendet. Durch eine offene Verbindung fährt der Cabrio-Laster nach Hattorf. Hier gleich nebenan läuft der Abbau noch, wird Kali aus dem Berg gesprengt. Gleichzeitig, in einem stillgelegten Feld, wird der Berg versetzt. Bergversatz bezeichnet das Verfüllen abbaubedingter Hohlräume mit bergfremden Stoffen und ist manchmal schlicht Endlagerung von Gift - verpackt in anderes Vokabular. Auch in Hattorf werden Filterstäube aus Haus- und Sondermüllverbrennungsanlagen und andere Trockengifte wie Rauchgasreinigungssalze in Big Bags eingelagert. Die Zusammensetzung der Stäube entspricht jener der endgelagerten in Herfa-Neurode. Allerdings werden die Anlieferungen erst nachträglich auf ihre Inhaltsstoffe geprüft, ein Probenarchiv existiert nicht. Die Big Bags werden auch nicht eingemauert, sondern direkt im Salz verpackt. In einer Ecke der Grube ist der Versatz im Gange. In drei Reihen hat ein Stapler die Gebinde übereinander gesetzt. Davor liegt ein Haufen gemahlenes, angefeuchtetes Salz. Von der Seite nähert sich ein gelbes Spezialgerät. Wie eine Schneefräse frisst es die weiße Masse und schleudert sie auf die Giftbehälter. Das grobe Salz hat die Konsistenz von feuchtem Kies, nur pappt es besser. Nach kurzer Zeit erstarrt die Masse, die Big Bags sind verschwunden. Darauf wird die nächste Lage angefahren. Hier werden also Hohlräume luftdicht verfüllt und damit vor Einsturz gesichert, weshalb in Hattorf eine "Verwertung" des Giftmülls stattfindet. Mehr als 300 000 Tonnen wurden bereits versenkt, jährlich über 60 000 Tonnen. Die geologischen Bedingungen sind exakt die gleichen wie in der Untertagedeponie Herfa-Neurode. Wesentlich unterscheiden sich beide Anlagen nur im Genehmigungsverfahren. Für eine Untertagedeponie dauert es zwei bis zehn Jahre, den Betriebsplan für einen Versatz stellt das zuständige Bergamt in drei bis sechs Monaten aus, da umständliche abfallrechtliche Verfahren und viele Kontrollen entfallen. "Ich persönlich habe kein Problem mit einer einheitlichen Betrachtung von Verwertung und Beseitigung im Salz", erklärt Entsorgungsleiter Hartmut Behnsen, "das Sicherheitsniveau beider Verfahren ist aus unserer Sicht identisch." Mit dem Bergwerk Hattorf konnte die Kali und Salz ihr Entsorgungsangebot erweitern. Vor allem kostet die Endlagerung in Herfa-Neurode mit etwa 470 Mark pro Tonne deutlich mehr als der Versatz in Hattorf mit 250 bis 300 Mark für das gleiche Gut im gleichen Salz. Das Auffüllen von Hohlräumen ist oft notwendig, um obertägige Absenkungen zu verhindern. Im schlimmsten Fall können sich Gebirgsschläge ereignen. Ein solches menschenverursachtes Beben geschah zuletzt am 13. März 1989 in Völkershausen. Nirgendwo anders als in Deutschland allerdings dient Sondermüll zum Versatz. Rund 650 000 Tonnen Giftmüll, darunter auch Lieferungen aus der EU, sind 1998 so im deutschen Berg verschwunden. Die EU hat die Bundesregierung am 30. April abgemahnt und fordert für jedes Versatzbergwerk die gleichen Umweltprüfungen wie für jede andere Deponie auch. Am 23. August hat die Bundesregierung geantwortet, es handele sich um eine Maßnahme aus "bergbausicherheitlichen Gründen", die weniger der "Verfüllung von Hohlräumen", sondern vor allem der "Stabilisierung des Gebirges" diene. "Hierzu werden die Abfälle als Baumaterial eingesetzt." Der Versatz von Sonderabfällen sei in Deutschland überdies nur erlaubt, wenn diese sich möglichst vollständig vom Grundwasser abschirmen ließen. Hierfür kämen als Wirtsgesteine Steinsalz, zum Beispiel Kali, oder Fels, etwa Tongestein, in Betracht. Hattorf wäre damit rechtlich gedeckt, doch ein Versatzbergwerk wie Walsum in Nordrhein-Westfalen dürfte es nach dieser Definition nicht geben. 1998 wurden in diesem aktiven Kohlebergwerk 90 000 Tonnen verbaut, überwiegend Filterstäube. Man vermischt Stäube oberirdisch mit Wasser zu einer Paste und pumpt sie über kilometerlange Rohrleitungen in den untertägigen Bruchhohlraum. Bruch ist Nebengestein, das bei maschinellem Kohleabbau entstandene Hohlräume füllt. Nach kurzer Zeit erstarrt das in den Bruchhohlraum gepumpte Material und erhöht so dessen Dichtigkeit. Genaue Messwerte dazu gibt es nicht. "Wir folgen dem Atmen der Kohlegewinnung", sagt Herbert Klee, Geschäftsführer der für den Versatz zuständigen UTR Umwelt GmbH. Die Möglichkeit unvorhergesehener Bergsenkungen bestehe dadurch jedoch sicher nicht. Die UTR in Gladbeck ist auch für die Herstellung von Bergbaustoffen zuständig. Auch dem Baumaterial werden Filterstäube untergemischt, allerdings in einer Menge, die dem marktüblichen Schadstoffgehalt für Untertagebaustoffe entspricht. Für den Versatz bestimmte Filterstäube aus Müllverbrennungsanlagen werden auf ihren Bleigehalt bemessen. Der darf fünf Gramm je Kilo in der pumpfähigen Paste nicht übertreffen. Eines Tages, wenn Walsum geschlossen ist, werden die Grubenwässer in dem Bergwerk zwangsläufig steigen und den Bruchhohlraum unter Wasser setzen. "Eine Gefahr besteht aber nicht", sagt Klee, "denn die Wegsamkeiten sind rund um das eingelagerte Material wesentlich günstiger." Das Wasser werde also den Giftmüll umfließen und praktisch keine Schadstoffe lösen, erklärt Klee, auf entsprechende Gutachten und Gerichtsurteile verweisend. Während die Bundesregierung den Bergversatz gegenüber der EU verteidigt, arbeitet das Umweltministerium an einer neuen Verordnung. Künftig sollen an ihn nahezu die gleichen Anforderungen gestellt werden wie an die Untertagedeponie. Das ist sinnvoll angesichts der toxischen Gleichwertigkeit der Abfälle. Walsum wird angezählt. Quelle: Die Zeit 05/2000 Neues Gift in alten StollenSondermüll aus Verbrennungsanlagen landet zunehmend in Bergwerksstollen statt auf Deponien. Besonders die Ablagerung in alten Kohleschächten ist gefährlichUnten ist es stockduster, nur die Lichtkegel der Kleinlaster lassen die grauroten Wände und Decken aufleuchten. Die Luft wird immer wärmer. Dicke, salzige Staubwolken legen sich auf Haut und Kleidung. "Hier machen wir auch von Zeit zu Zeit Mountainbike-Rennen", erklärt einer der Fahrer seinen Mitreisenden. Hier, das ist 800 Meter unter der Erdoberfläche im Kalibergwerk in Thüringen, in Sondershausen. 200 Kilometer Strecke ziehen sich unter dem Ort hindurch: rund fünf Meter hohe und zehn Meter breite, rot glitzernde Bergwerksstollen. Die reinste James-Bond-Strecke. 1991 wurde das Bergwerk im Zuge der Vereinigung wegen Unwirtschaftlichkeit geschlossen. Eine "harte Abbruchkante" nennt der Bergmann, wenn ein Bergwerk ohne Übergang stillgelegt wird und einsturzgefährdete Stollen nicht mit Material aus neuen Stollen gefüllt werden. 3.600 Menschen verloren damals ihren Job und der Berg über den verwaisten Stollen begann sich millimeterweise zu senken. Mittlerweile geht es den Sondershausenern besser. 1.800 haben eine Arbeit im neuen Gewerbegebiet auf dem Bergwerksgelände gefunden, davon 90 im Bergwerk selbst. Sie sorgen dafür, dass die einsturzgefährdeten Stollen direkt unter dem Ort "versetzt", also gefüllt werden, damit der Berg gestützt wird. Würde das nicht geschehen, drohte Sondershausen ein ähnliches Schicksal wie Halle im September 1996. Dort wackelten um halb sechs Uhr morgens die Häuser. Ein Stolleneinsturz im Bergwerk, in der 15 Kilometer entfernten Grube Teutschenthal, hatte ein vergleichsweise schweres Erdbeben ausgelöst, immerhin mit 5,5 auf der Richterskala. Jetzt sind die Arbeitsplätze der Sondershausener Bergleute wieder bedroht. Denn der Stoff, mit dem die Stollen gefüllt werden, ist brisant. Es ist hoch giftiger Sondermüll, gepackt entweder in tonnenschwere weiße Plastiksäcke, die "big bags", oder nach einer speziellen Rezeptur zusammengemixt zu einer braunen Brühe. Und Sondermüll, findet die Europäische Union, muss fachgerecht beseitigt werden. Das Bundesumweltministerium (BMU) argumentiert dagegen, bei der Füllung der Stollen mit Müll handele es sich um Verwertung ("Nutzung der stofflichen Eigenschaften von Abfall zu baulichen Zwecken"). Nun hat die Bundesregierung auf europäischer Ebene ein Verfahren wegen Verletzung des Abfallrechtes am Hals. Behält die EU Recht, muss der Bergversatz dort gestoppt werden, wo es sich nicht um Sonderdeponien handelt. Erst nach zeitraubenden Prüfungen darf dann an einigen Stellen wieder verfüllt werden. Das Füllen der Höhlen mit Müll lohnt sich. Müll im Berg bringt den Betreibern des Bergwerkes Geld, und für die Müllverbrennungsanlagen (MVA), die ihre Reststoffe loswerden müssen, ist es eine relativ billige Entsorgungsmöglichkeit. Für die MVA wäre die Müllentsorgung in regulären Sondermülldeponien mit ihren scharfen Umweltauflagen bis zu zehnmal teurer. Hinzu kommt, dass Deutschland mit der Umdefinition von Müll in Wertstoff als EU-Müllhalde dienen kann. Wertstoffe dürfen als Ware gehandelt werden. Also landet in den Stollen nicht nur der einheimische Sondermüll, sondern auch ausländischer aus den Niederlanden, aus Spanien. Aus Kohlestollen kann Gift ins Grundwasser sickernDie Müllentsorgung in den deutschen Bergwerken ist ein gutes Geschäft geworden. Nach Informationen des Umweltbundesamtes wurden 1997 rund 1,7 Millionen Tonnen bergbaufremde Abfälle in den 30 Bergwerken untergebracht, die dafür bundesweit zur Verfügung stehen. 676.000 Tonnen davon "überwachungsbedürftige Abfälle", sprich Sondermüll. In den drei speziell für Sondermüllbeseitigung ausgerichteten Untertagedeponien Heilbronn, Herfa-Neurode und Zielitz sind dagegen weniger als ein Drittel, nur rund 172.000 Tonnen, Sondermüll gelandet. Dabei suchen diese Deponien Hände ringend Abfall. Den zu Beginn der Neunzigerjahre prognostizierten Deponienotstand gibt es nicht. Trotzdem nimmt der Anteil des Sondermülls beim Bergversatz zu: Laut Umweltministerium landeten 1994 nur 20 Prozent des Abfalls in Bergwerken, 1997 schon doppelt so viel. Richtig heikel wird die Angelegenheit, wenn auch Kohlebergwerke verfüllt werden. Diese verfügen im Gegensatz zu Salzbergwerken über keinen Abschluss zur umgebenden Biosphäre. Ein Kontakt zwischen den abgelagerten Giftstoffen und dem Grundwasser ist hier durchaus möglich. 1992 etwa platzten in einem Bergwerk der Ruhrkohle AG zwei Schläuche, als Abfälle aus einer Hausmüllverbrennungsanlage in die Stollen gepresst wurden. Die Analyse des Grubenwassers ergab später "auffällige Ergebnisse". Davon hat Dirk Jansen, Abfallexperte beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), nur durch Zufall erfahren. Jansen setzt sich seit Jahren gegen diese Art des Versatzes ein. Erst dieses Jahr erhielt die Deutsche Steinkohle-AG die Erlaubnis, im Schacht Altendorf-Ulfkotte, einem Steinkohlebergwerk in Nordrhein-Westfalen, 110.000 Tonnen bergbaufremder Abfälle abzulagern. Gemäß der Richtlinien enthalten die Rückstände aus der Klärschlammverbrennung aber viel größere Mengen an Zink, Cadmium, Blei und Chrom, als für die Einlagerung in Bergwerken erlaubt sei, erklärt Jansen. Was genau allerdings in die Stollen gekippt, wann damit begonnen wird, erfährt Jansen nicht: "Angeblich habe ich ein gesetzliches Recht auf Informationen. Aber jedesmal, wenn ich wissen will, was genau versetzt wird, verschanzt sich das Landesoberbergamt hinter dem Betriebsgeheimnis", sagt der Umweltschützer. "Mit dem Bergversatz werden abfallrechtliche Bestimmungen unterlaufen." Auch das BMU sieht den Versatz in den Kohlebergwerken zunehmend kritisch. Bis zum Frühjahr will es in Zusammenarbeit mit den Umweltministern der Länder deswegen eine bundeseinheitliche Verordnung verabschieden, die die "umweltschädliche Billigentsorgung unter Tage" verhindert. Die giftigen Abfälle dürfen danach zukünftig ausschließlich in Salzbergwerke eingelagert werden. Auch dort aber sollen nach der neuen Verordnung keine metallhaltigen Stäube mehr vergraben werden dürfen. Immerhin landeten 24.000 Tonnen Stahlwerkstäube 1997 in Bergwerksstollen - obwohl aus ihnen wertvolle Metalle wie Zink herausgeholt werden können. Teilweise enthält der Müll genauso viel Metall wie das Erz, aus dem es gewonnen wird. Recyclingfirmen wie die Berzelius Umwelt Service (BUS) setzen sich dafür ein, dass das Abkippen unter Tage verboten wird. Mit der neuen Verordnung soll die Koalitionsvereinbarung erfüllt werden. Grundsätzlich gegen den Bergversatz mit Sondermüll will sich das Umweltministerium aber nicht stellen. Der Versatz sei, so Experte Rüdiger Wagner vom BMU, eine sichere und obendrein ökonomische Umgangsweise mit Sondermüll. Ob die EU sich diese Sichtweise zu Eigen macht, wird man sehen. Quelle: TAZ 27.12.1999 Technik für die TonneWie der denkende Müllbehälter rücksichtslose Entsorgung fördert Von Nadine Oberhuber In mancher Mülltonne steckt mehr, als man denkt. Neben ein paar Kilo Abfall nämlich auch ein Gedächtnis. Mit einem Mikrochip am Tonnenrand merkt sich der moderne Behälter, wem er gehört, wie oft er geleert wird und wann. "Identifikationssystem" nennt sich die Technik, mit der in Zeiten der Wohlstands- und Wegwerfgesellschaft selbst die Mülltonne das Denken lernt. Dahinter steckt ein Umweltkonzept, das eine "verursachergerechte Gebührenabrechnung" ermöglichen und Müll reduzieren soll. So wünschen es sich die Kommunen: Wer viel wegwirft, zahlt auch viel und beginnt früher oder später zu sparen. Doch trotz mehrjähriger Testphase geht das neue Konzept der Abfallwirtschaft nicht auf. Die Müllmenge ist die Gleiche geblieben - sie wird nur anders entsorgt, weshalb die Gebühren steigen. Die Chips funktionieren. Mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit von weniger als 0,01 Prozent sei die Erkennungssicherheit der Transponder enorm hoch, erläutert der Dresdner Professor für Abfallwirtschaft Bernd Bilitewski. Außerdem seien die Chips nicht zu manipulieren, dafür sorge die Dreifach-Sicherung: In ein Glasröhrchen verpackt, das von einer Plastikschicht ummantelt wird, sind die letztlich markstückgroßen Transponder unter der Schüttungskante in die Mülltonnen eingeschweißt. Im Verborgenen arbeiten die Datenträger wie Minifunkgeräte. Beim Lesevorgang am Müllwagen werden sie aufgeladen und geben dann über einen Kondensator Energie und Daten ab. Das klappt berührungslos und macht das Behältergedächtnis "absolut wartungsfrei". Weil die Technik so sicher ist, wie Abfallwissenschaftler, Hersteller und Stadtreinigung übereinstimmend feststellen, rüstete eine Reihe von Kommunen um. Bisher sind bundesweit mehr als eine Million merkfähiger Mülltonnen im Umlauf: in Ludwigsburg, Viersen oder Offenbach etwa. Dresden und Bremen sind bereits flächendeckend versorgt. Allein 190 000 schlaue Tonnen rollen in der Hansestadt. Vor fünf Jahren hat Bremen das 20 Millionen Mark teure Codierte System eingeführt - und sich damit ganz schön verrechnet. Wo die Chips Einzug halten, landet der Müll vor den Haustüren der Nachbarn Denn die Chips funktionieren zwar, die Menschen aber nicht. Schon bei der Umstellung liefen die Wohnungsbaugesellschaften gegen das Projekt Sturm, weil die Code-Tonne nicht mehr auf das Prinzip der solidarischen Kostenteilung setzt, sondern auf die Einzelabrechnung. Wo sich aber viele Personen einen Müllcontainer teilen müssen wie in Wohnanlagen, krankt das System, weil nicht "individuell erfasst" werden kann. Wohnungsbaugesellschaften müssen also weiterhin personen- oder quadratmeterbezogen abrechnen. Auch bei den Privathaushalten ging die städtische Rechnung nicht auf. In kürzester Zeit hatten sich die Bürger heruntergespart, ließen ihre Tonnen nur noch ein Dutzend Mal im Jahr leeren. Für die Stadt wurde die Abfallwirtschaft dadurch unberechenbar, sie nahm viel weniger Geld ein, musste aber Verbrennungsanlagen und Deponien bei konstanten Fixkosten unterhalten. Die Folge für die Verbraucher waren steigende Müllgebühren, obwohl sich das Restmüllaufkommen laut Statistik ständig verringerte. Die Dresdner Zahlen wirken auf dem Papier überzeugend: Die Einführung des Identsystems für die 480 000 Einwohner erfolgte von 1996 auf 1997. Statt vorher 178 Kilo Restmüll pro Einwohner fielen im Jahr 1997 nur noch 30 Kilo an. Dafür füllten sich die übrigen Müllbehälter. In den Transponder-Städten landet der Abfall nicht mehr in den schlauen Tonnen, sondern in Gelben Säcken, Biotonnen - oder vor den Haustüren der Nachbarn. "Zu den Papierkörben der Innenstadt oder zu Rastplätzen hat sich ein regelrechter Mülltourismus entwickelt", sagt Reinhard Holtin von den Bremer Entsorgungsbetrieben. So schaffen es einige Bürger, mit drei Tonnenleerungen jährlich auszukommen. Das "Amt für Schiet und Dreck", wie Wagenfahrer Jürgen Lange es nennt, hat dennoch mehr zu tun als vorher, weil es die elektronische Datenpflege am "Trash-Rechner" besorgen muss. Die Bilanz des Bremer "Wahnsinnsvorhabens", das mit 40 Müllfahrzeugen, 50 Mitarbeitern, 2 Gigabyte Datenaufkommen und 20 Millionen Mark Einsatz mehr Gebührengerechtigkeit schaffen wollte, zieht Holtin: "Ein gerechtes System, das aber Trittbrettfahrern das kostenlose Mitfahren ermöglicht." Und eine Werteveränderung - von der geregelten Müllentsorgung zum Sankt-Florians-Prinzip. Quelle: DIE ZEIT 1999 Nr. 24 Konzert der schlauen ChipsWinzige Schaltkreise sollen auch den letzten Jogurtbecher vernetzen Er war einmal schwarz-weißes Symbol für Datenerfassung und Überwachungsstaat, Emblem für Horrorvisionen vom gläsernen Menschen: der Strichcode. Inzwischen prangt das Streifenmuster, vor 50 Jahren vom Amerikaner Douglas Young erfunden, auf jedem Produkt, das wir kaufen. Die Kasse im Supermarkt scannt den Code und weiß nicht nur, wie teuer ein Artikel ist, sie meldet auch ins Lager, dass sich der Bestand im Regal verringert. Doch die Ära des Strichcodes neigt sich dem Ende zu. Denn die Welt, von der Forscher der Fraunhofer-Gesellschaft träumen, ist bevölkert von vernetzten Zahnpastatuben, e-mailenden Kühlschränken und Armani-Krawatten, die heimlich die Lebensgewohnheiten ihrer Besitzer ausplaudern. Mit Balken sind solch kühne Ziele nicht zu erreichen. Geht es nach den Fraunhofer-Forschern, soll der "Zebrastreifen" daher von smart labels abgelöst werden - "intelligenten Etiketten", die in fast jedes Produkt eingearbeitet werden können. Diese unsichtbaren Winzlinge werden die Dinge des Alltags mit dem Tausendfachen der Information ausstatten, die heute noch mit Printtechnik an Banane und Kaffeetasse angebracht wird. Modernen Anforderungen genügen die alten schwarzen Streifen längst nicht mehr: Der Barcode auf der Titelseite der ZEIT verbraucht 7 Quadratzentimeter, um gerade einmal 15 Ziffern darzustellen. Das Auslesen der Information per Laserscanner ist umständlich und fehleranfällig. Vor allem aber: Der Code ist nicht veränderbar - die Ware kann der Kasse etwas mitteilen, aber umgekehrt nicht. In der schönen neuen Netzwelt aber sollen alle Gegenstände miteinander kommunizieren. Die smart labels sind das ideale Mittel, um noch den letzten Jogurtbecher zu vernetzen: "Mit dünnen, flexiblen, robusten und billigen Systemen gelingt es, Elektronik in alle Dinge des täglichen Lebens zu bringen", sagt Joachim Pelka vom Fraunhofer-Verbund Mikroelektronik. Die neuen Etiketten sind so genannte Transponder - integrierte Schaltkreise, versehen mit Spulen, die als Antennen wirken. Wenn ein solcher Transponder in das elektrische Feld gerät, das von einem Lesegerät erzeugt wird, spuckt er seine Daten aus. Er funkt also nur dann, wenn er darum gebeten wird. Zudem kann er neue Daten speichern. Die Energie für seine Aktionen bezieht er aus dem Feld, er braucht keine eigene Energieversorgung. Transponder gibt es schon seit geraumer Zeit. Sie werden als elektronische Hundemarken Haustieren ans Ohr geklemmt oder helfen bei der individuellen Berechnung der Müllgebühren (s. Technik für die Tonne, S. 32). Die neuen Winzlinge vereinen nun Chip und Spule auf einer Fläche von nur zwei mal zwei Millimetern. Und wer sich unter "Chip" etwas Hartes, Starres vorstellt, muss umdenken: Die neuen Halbleiterplatten sind so dünn und biegsam, dass man sie in gewöhnliches Papier einarbeiten kann. Möglich wurden die neuen Chips, weil das Grundmaterial Silizium mit abnehmender Dicke seine Eigenschaften verändert: Ist das Plättchen dicker als 100 Mikrometer (1 Zehntelmillimeter), so ist es steif und stabil. Macht man es dünner, so wird es zunächst brüchig und spröde. Unterhalb von 30 Mikrometern aber lässt es sich plötzlich biegen: Einen 10-Mikrometer-Wafer kann man um einen Bleistift wickeln. Die Forscher vom Münchner Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM) haben es nun geschafft, derart dünne Chips in Serie zu ätzen. Zum Vergleich: Gewöhnliches Schreibpapier ist etwa 80 Mikrometer dick. Das zweite Kunststück: Will man auf die dünnen Chips eine Spule aufbringen, so kann man nicht mehr löten - das würde zu dick auftragen. Deshalb mussten so genannte anisotrop leitende Klebstoffe entwickelt werden, die an genau definierten Stellen elektrischen Kontakt herstellen. Zusammen mit Industriepartnern haben die Münchner das Verfahren bis zur Serienreife gebracht - sie sind weltweit die Einzigen, die derart dünne 6-Zoll-Wafer herstellen können, von denen jeder mehrere Tausend der kleinen Etiketten liefert. Und sie entwickelten auch ein industrietaugliches Verfahren, die Winzchips unsichtbar und unfühlbar zwischen zwei Papierschichten einzubetten. "Das Ganze muss so robust und flexibel sein, dass es alle nachfolgenden Bearbeitungsprozesse wie Färben und Bedrucken ohne Schaden übersteht", beschreibt Karl Haberger vom IZM die Herausforderung. Die neue Technik kann unser Alltagsleben auf vielfältige Weise verändern. Beispiel Supermarkt: Weil die Chips aus der Entfernung gelesen werden können, erübrigt sich das mühselige Einscannen an der Kasse. Man braucht nur den vollen Einkaufswagen vorbeizuschieben - und schon funken alle Waren ihren Preis an die Kasse. Wenn im Wagen ein Lesegerät eingebaut ist, kann der Kunde selbst überprüfen, für wie viel Geld er bereits Waren im Korb hat. Angenehmer Nebeneffekt für den Ladenbesitzer: Langfinger haben kaum noch eine Chance. Das alles kann sich natürlich nur durchsetzen, wenn der Preis der smart labels in einem sinnvollen Verhältnis zum Warenwert steht. "Das Produkt darf nicht wesentlich teurer werden", sieht auch Franz Ansorge vom IZM ein. Für den Supermarkt würde das bedeuten: Zehn Pfennig pro Chip wären die Obergrenze, um die Technik flächendeckend einzuführen. Weil die Entwicklung noch nicht so weit ist, wollen die Fraunhofer-Forscher ihr Konzept zunächst an teuren Produkten ausprobieren, konkret an Kofferanhängern und Bordkarten von Fluglinien. Die Koffer könnten so automatisch sortiert werden und sich gleichzeitig "merken", welchen Weg sie genommen haben. Auch der Passagier mit Bordkarte wird von einer Kontrollstelle zur nächsten elektronisch "durchgereicht". Und selbstverständlich stellt der Computer sofort fest, wenn ein Koffer an Bord ist, der Besitzer aber nicht - und löst Alarm aus. In den Visionen der Forscher können die smart labels aber weit mehr, als den Barcode zu ersetzen: Weil sie auf winzigstem Platz mehrere Schreibmaschinenseiten an Informationen erfassen können, lassen sich auf ihnen noch ganz andere Dinge speichern als eine Produktnummer. Ein Fertiggericht könnte sein "Rezept" mit sich herumtragen, und das entsprechend ausgerüstete Mikrowellengerät wüsste gleich, wie lange es mit wie viel Watt zu strahlen hätte. Oder die digitale Visitenkarte: Ein unsichtbarer Chip im Pappkärtchen könnte viele Informationen über den Besitzer enthalten - und der Empfänger könnte sie sich über das Display seines Handys ansehen.
Richtig spannend werden die dünnen Chips, wenn ihre Funktionen noch erweitert werden - etwa durch Minisensoren. Pflanzt man einen Halbleiter mit eingebautem Thermometer einer Kuh unter die Haut, so kann der Bauer nicht nur seine Tiere identifizieren, sondern auch feststellen, ob die Kuh fruchtbar ist oder auch krank. Menschen dürften vor der Implantation eines solchen Chips noch zurückschrecken, aber natürlich wäre auch für unsereins der kontinuierliche Gesundheitscheck technisch möglich - vielleicht sogar ein handliches Gerät, das der Frau Auskunft über ihre fruchtbaren und unfruchtbaren Tage gibt. Weniger umstritten dürften Anwendungen im Auto sein: Die berührungslose Datenübertragung macht es etwa möglich, während der Fahrt den Druck der vier Reifen zu überwachen. Eine weitere Möglichkeit ist ein Chip, der kontinuierlich Umweltdaten aufzeichnet. Beim Transport von Lebensmitteln, aber auch von chemischen Substanzen müssen bestimmte klimatische Bedingungen eingehalten werden. Für diese Aufzeichnung braucht der Chip allerdings eine eigene Stromversorgung. Die entsprechenden Folienbatterien dafür gibt es bereits. Das ultimative Ziel, das Franz Ansorge vor Augen hat, ist die totale Vernetzung der Gegenstände unseres täglichen Lebens. Die Waschmaschine, die ein chipbestücktes Wäschestück zurückweist, weil es bei 60 Grad einliefe. Die Milchtüte, die aufgrund von Sensordaten meldet: "Ich bin sauer." Der elektronische Einkaufszettel, vom leeren Kühlschrank erstellt, der per Internet ins Auto übertragen wird und das Navigationssystem anweist, den nächsten Supermarkt anzufahren - wo die gewünschten Waren zur Abholung bereitstehen. Was die Ingenieure schon wegen der technischen Eleganz faszinierend finden, löst bei anderen nur Kopfschütteln aus - und die fast reflexhafte Frage nach dem Datenschutz. Denn eines ist sicher: Jedes Mal, wenn ein Lesegerät den Transponder anfunkt, werden elektronische Informationen erzeugt und natürlich auch gespeichert. Der Lebensmittelhändler kann heute schon aus den Daten seiner Registrierkassen interessante Schlüsse ziehen: dass etwa - banales Beispiel - der Kauf von Bier mit dem Kauf von Chips (die essbaren sind gemeint) korreliert und die Waren demnach nahe beieinander zu platzieren sind. Wenn immer mehr Kunden per Karte bezahlen, weiß der Händler, dass abends um zehn vor acht noch regelmäßig ein Kunde in den Laden stürmt und zwei Tiefkühlpizzen kauft. Heikel wird es für Datenschützer, wenn diese Informationen personalisiert sind - der Händler also weiß, wie dieser Kunde heißt und wo er wohnt. Im Moment kümmern sich die Datenschützer vor allem um die Chipkarten, die als digitale Geldbörse immer mehr Verbreitung finden. Die neuen Minitransponder leisten im Prinzip dasselbe - mit dem heiklen Unterschied, dass der Datenaustausch berührungslos passiert. Bei der Chipkarte führt der Benutzer jeden Übertragungsvorgang bewusst aus. Die smart labels dagegen können auch ausgelesen werden, ohne dass der Benutzer es weiß oder überhaupt will. Die Waren, die wir kaufen, die Kleidung, die wir tragen, die Visitenkarten in unserer Tasche - alle versehen mit geschwätzigen Chips, die ohne unser Wissen Auskunft geben über unser Leben? Die einstige Horrorvision vom Menschen mit Strichcode ist in amerikanischen Krankenhäusern längst Wirklichkeit geworden, weil die automatische Identifikation vor fatalen Verwechslungen schützt. Die Moderne ist auf ein wahrnehmbares Mal nicht mehr angewiesen - das Etikett der Zukunft ist unsichtbar. Quelle: DIE ZEIT 1999 Nr. 24 Müllmenge sinkt: Lage der MVA dramatisch Aachen. «Es ist ein Stück dramatisch», sagt Hellmut Trienekens, der als Vorstandsvorsitzender seines Entsorgungsunternehmens das «Müllgeschäft» bestens kennt. «1000 Tonnen weniger Müll pro Jahr machen vier Mark mehr Gebühren aus», rechnet Carl Meulenbergh vor, der als AWA-Aufsichtsratsvorsitzender und als Landrat doppelt gefordert ist, daß die Gebühren nicht steigen. «Die derzeitige Abfallpolitik ist volkswirtschaftlich schädlich», legt RP Franz-Josef Antwerpes nach, entschiedener Verfechter der Müllverbrennung. Auf der Müllverbrennungsanlage in Weisweiler schlugen die drei zusammen mit den MVA-Geschäftsführern Ulrich Koch und Andreas Fries Alarm: Die MVA braucht Abfall - sinnvollerweise aus der Region. Absurde Verhältnisse auf einen Blick, am Montag gegen 12.15 Uhr: Am MVA-Müllbunker liefert ein Großtransporter aus Radolfzell Abfall aus der Bodenseeregion an. Durchaus wahrscheinlich, versichern die Experten, daß zur selben Zeit in Dresden ein Lkw seine Ladung Aachener Müll abkippt. Der Name «Kreislaufwirtschaftsgesetz» bekommt so eine völlig andere Bedeutung. Es geht dabei um Geld, um viel Geld. Zwar stinkt Müll in der Tonne, aber rein als Wirtschaftsgut zur Verwertung oder Beseitigung ist er Gold wert. Die Wege, die er nimmt, stinken übrigens immer öfter zum Himmel . . . Zahlen muß der kleine Mann, sinnvollerweise deshalb Gebührenzahler genannt, weil er sich als Füller der grauen Tonne dem Anschlußzwang für Hausmüll nicht entziehen kann. Derweil ist bei der MVA der Gewerbemüll aus Kreis und Stadt Aachen von 140 000 Tonnen im Jahre 1994 auf etwa 25 000 Tonnen im letzten Jahr gesunken. Statt der prognostizierten 148 000 Tonnen Abfall aus beiden Gebietskörperschaften rechnet man dieses Jahr mit höchstens noch 135 000 Tonnen. Natürlich: Trienekens füllt vertragsgemäß und -treu die Löcher, damit die Müllöfen in Weisweiler nicht ausgehen - aber erstens zahlt er nur rund 240 Mark pro Tonne statt der gut 630 Mark, die der Gebührenzahler für die gleiche Menge bei der MVA berappen muß, und zweitens akquiriert der private Entsorger quer durch Deutschland. Zum Beispiel auch in Radolfzell . . . Dabei, versichern die Fachleute, gibt es in der Region Aachen genug Müll «zur Beseitigung», also zur Verbrennung in der MVA. Daß er nicht dort angefahren wird, liege an den Rahmenbedingungen. Die TaSi (Technische Anleitung Siedlungsabfall) ist für Trienekens ein Grund dafür, daß Abfall weiter den Billigweg geht. Sie erlaubt, daß Deponien bis Juli 2005 betrieben werden können - zwar mit unabsehbaren Folgen für die Umwelt, aber konkurrenzlos billig. «Das Kreislaufwirtschaftsgesetz ist eine Mißgeburt», sagt Antwerpes, weil es zu einer «exzessiven Verwertung» von Abfall geführt habe - zum Beispiel in belgischen Zementöfen, bei denen niemand messe, was aus dem Schornstein kommt. Demgegenüber bewegen sich bei der MVA in Weisweiler die Emissionswerte bei Bruchteilen der zulässigen Höchstwerte. Die Umwelttechnik, die das möglich macht, hat 100 Millionen Mark zusätzlich gekostet, und auch dafür müssen Zinsen gezahlt werden. Außerdem braucht diese Technik Strom, und der ist teurer geworden: Die Ökosteuer, rechnet Koch vor, belaste die MVA mit 900 000 bis 1,2 Millionen Mark zusätzlich pro Jahr. Absurdes Detail: Die MVA liefert heißen Dampf, mit dem nebenan beim RWE Strom erzeugt wird. Und weil sie diesen Strom von dort zurückbezieht, zahlt sie auf dieses im Grunde eigene Produkt Steuern. Trotzdem: Es gibt genug Müll in der Region, mit dem die MVA zu erträglichen Gebühren gefahren werden könnte, aber die Nachbarkreise Heinsberg und Düren setzen so lange es geht auf das, was sie haben: Deponien - und Düren zusätzlich die kalte Rotte. Der Kreis Düren kommt bei Antwerpes besonders schlecht weg: Zwar könne die Deponie Horm «das Wasser nicht halten», aber Düren werde wahrscheinlich klagen, um Zeit zu gewinnen. Daß Heinsberg jetzt nolens volens mit dabei sei im Entsorgungsgebiet West, sei auch nicht einfach zu erreichen gewesen. Nebenbei bemerkt: Der Abfall aus dem Selfkant «gehört» Trienekens und wird zu dessen Preis angeliefert. Antwerpes, Meulenbergh, Trienekens und die MVA-Chefs sind sich einig: Die Rahmenbedingungen sind falsch. Der Regierungspräsident verspricht, NRW-weit auf eine einheitliche Anwendung der TaSi-Fristen zu drängen, damit wenigstens hier gleiche Bedingungen herrschen. Er selber appelliert an den Gesetzgeber, die «Durststrecke bis 2005» erträglicher zu machen. Von da an sei die Müllbeschaffung für die vier MVA im Regierungsbezirk Köln kein Problem mehr. Koch fordert strengere Kontrollen für Gewerbemüll: Die Firmen wüßten meist nicht, wo ihr Abfall am Ende landet, obwohl sie bis zuletzt dafür die Verantwertung trügen. Auch daß ein 400-Mann-Betrieb mit einer 35-Liter-Hausmültonne zur Beseitigung bei 14tägiger Leerung auskomme, sei ein Witz, aber möglich, weil bisher niemand nachprüfe, was stattdessen alles als Gewerbemüll zur Beseitigung deklariert werde. Und die Preise des nächsten Jahres: «Die Gebühren dürfen nicht weiter steigen», macht Meulenbergh sich und anderen Mut. Fragt sich nur, ob die Gebühren sich auch daran halten. Die Trienekens-Recycling-Abfallwirtschaft-Aachen GmbH (Trawa): Zur Sicherung der Auslastung der MVA in Weisweiler werden die AWA und Trienekens die TRAWA (Trienekens-Recycling-Abfallwirtschaft-Aachen GmbH) gründen, an der die AWA 25,1 Prozent der Anteile hält. Diese Gesellschaft soll vor allem dafür sorgen, daß nicht länger fast aller Gewerbeabfall aus der Region an der MVA vorbeigeschleust wird. Dazu wird unter anderem eine Sortieranlage gebaut. Auf der Grundlage der neuen gesetzlichen Möglichkeiten will die AWA außerdem bei der Industrie eine Grundgebühr nach der Größe des Gewerbegrundstücks erheben. Begründung: Auf der Deponie Warden fallen jährlich sechs bis sieben Millionen Mark Kosten für die Sickerwasserreinigung an, an deren Begleichung die Industrie nach dem Verursacherprinzip beteiligt werden soll. Da bei der AWA kaum Gewerbemüll ankommt, werden diese Kosten derzeit ausschließlich über die Gebühren für die graue Tonne beglichen. Quelle: Aachener-Zeitung 7.6.1999
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