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zurück zu Stichwörter, Fragen & Antworten Die Rolle der Gewerkschaften Akteure des Widerstands - zur Geschichte der
Antiglobalisierungsbewegung (Teil 2). Ob Sozial- und Umweltschutzklauseln in die
Welthandelsorganisation (WTO) gehören - das ist ein Streitpunkt zwischen
Nichtregierungsorganisationen (NGO) aus dem Süden und vielen ihrer
Schwesterorganisationen aus dem Norden. Die Nord-NGOs zählen bei ihrem
Votum für eine Implementierung auf Unterstützung durch die großen
Gewerkschaftsverbände der Industrieländer, während die NGOs und
Gewerkschaften aus dem Süden dahinter einen »versteckten Protektionismus«
sehen, der die Güter aus dem Süden in einer Konkurrenzsituation von den Märkten
des reichen Nordens fernhalten soll. Auch wenn diese Klauseln aus
gewerkschaftspolitischer Sicht grundsätzlich erstrebenswert sind, können
die Befürchtungen der Regierungen, Gewerkschaften und NGOs aus dem Süden
nicht einfach von der Hand gewiesen werden. Zahlreiche Handelsstreitigkeiten
belegen, daß es eine Frage der vorhandenen Experten und der
wissenschaftlichen Ressourcen ist, eine neue, reale oder vermeintliche Gefährdung
der Gesundheit zu attestieren. Die Länder, die nicht über diese Ressourcen verfügen, sind
dabei den reichen Nationen ausgeliefert. Erst Anfang des Jahres boykottierte
die NAFTA (Nordamerikanisches Freihandelsabkommen zwischen USA, Kanada und
Mexiko) auf Drängen der kanadischen Regierung sämtliche
Rindfleischeinfuhren aus Brasilien. Ein harter Schlag für das
wirtschaftliche Schwellenland, denn die USA sind Hauptabnehmer für die
Rindfleischexporte. Wegen fehlender systematischer Kontrollen, so der
Vorwurf der kanadischen Regierung, bestünde eine BSE-Gefährdung. Zuvor hatte die brasilianische Regierung Kanada vor dem
WTO-Schiedsgericht beschuldigt, unrechtmäßige Exportsubventionen an den
Flugzeughersteller Bombardier bewilligt zu haben, mit dem der brasilianische
Hersteller Embraer um den Weltmarkt für Jets mit einer Kapazität bis zu
100 Fluggästen konkurriert. Die brasilianische Regierung wertete das
Vorgehen der NAFTA als Druckmittel, damit sie ihre Beschuldigung vor der WTO
wieder zurückziehe. Annäherungsversuche Doch sogar die Gewerkschaftsseite sei nun in Frage der
Sozialstandards »in Bewegung« gekommen, so die optimistische Einschätzung
von Peter Wahl, Mitarbeiter der deutschen NGO »Weltwirtschaft, Ökologie
und Entwicklung« (WEED). Auf einer im März von der Friedrich Ebert
Stiftung und der in Thailand ansässigen NGO »Focus on the global South«
veranstalteten gemeinsamen Gewerkschafts- und NGO-Tagung in Bangkok hätte
sich herausgestellt, daß sich die dort anwesenden Gewerkschaftsvertreter
der IG Metall, der brasilianischen CUT, der südkoreanischen KCTU und des
US-Dachverbandes AFL-CIO »verstärkt auf die internationale
zivilgesellschaftliche Bewegung einlassen, die sich kritisch mit der
neoliberalen Globalisierung auseinandersetzt«. Die Teilnehmer waren sich
einig, daß eine Kontrolle und Besteuerung der spekulativen Kapitalflüsse
eingerichtet werden müsse und erklärten sich bereit, künftig auch die
Arbeitskräfte im informellen und prekären Beschäftigungssektor zu
organisieren, »eingeschlossen alle Arbeitsmigranten«. Auch wenn die Gewerkschaftspraxis hierzulande diesen Ansatz
weitgehend konterkariert, so ist doch spätestens seit Seattle eine stärker
werdende Beteiligung der Gewerkschaften an der Bewegung gegen die
kapitalistische Globalisierung unübersehbar. In Europa beteiligten sich
Gewerkschaften im großen Stile erstmals an den Protesten gegen den
EU-Regierungsgipfel in Nizza. Die große Beteiligung ging vor allem auf die
Mobilisierungsfähigkeit des französischen Dachverbandes CGT und anderer
mediterraner Gewerkschaften zurück. Das hat die in sozialpolitischen Fragen
als Bremser angesehenen deutschen Gewerkschaften und die Führung des Europäischen
Gewerkschaftsbundes (EGB) mit ihrem sehr an Standortpolitik orientierten
Ansatz unter Druck gesetzt. Alle vom EGB formulierten Abänderungsanträge
zur europäischen Sozialcharta wurden von den Regierungschefs in Nizza
abgelehnt. Dennoch bezeichnete der von deutschen Gewerkschaften dominierte
EGB in einer Stellungnahme das Scheitern als »einen kleinen Schritt vorwärts«.
»Deutsche Gewerkschaften werden überhaupt erst dann mobilisieren, wenn die
Bewegung schon am Rollen ist oder internationale Schwesterorganisationen
Druck ausüben«, meint ein ehemaliger ÖTV-Sekretär gegenüber junge Welt. Doch auch auf der anderen Seite des großen Teichs werden die
widerstreitenden Interessen innerhalb des Gewerkschaftslagers durchaus
wahrgenommen. »Obwohl sie alle vor einem gemeinsamen Problem stehen«, sei
in Seattle auch klar geworden, »daß die Gewerkschaften sich international
keineswegs darin einig sind, was denn zu geschehen habe«, sagt der
ehemalige Organisationssekretär einer US-Gewerkschaft und jetzige
Journalist, David Bacon. »Der AFL-CIO glaubt, daß zukünftige
Welthandelsregularien so fixiert werden können, daß sie Arbeitsrechte und
die Umwelt genauso schützen wie (...) sie Unternehmerprofite sichern.«
Bacon macht einen zentralen Punkt aus: Mit Arbeitsstandards allein sei der
weltweiten Kluft zwischen Arm und Reich nicht beizukommen. Dies erfordere
vielmehr einen Kampf darum, »wer die Ökonomien des Südens kontrolliert
und welches Entwicklungsprogramm von ihnen verfolgt werden soll«. Die WTO fördere ein freundliches Klima für ausländische
Investitionen, »einschließlich niedriger Löhne und schwacher
Gewerkschaften«. Nationale Entwicklungsprogramme stünden dazu in scharfem
Gegensatz: »Sie stärken den Binnenmarkt, der sich auf steigende Einkommen
von Arbeitern und Bauern, auf den Schutz nationaler Industrien (inklusive
Verstaatlichung) und auf das garantierte Recht abhängig Beschäftigter zur
Ausübung politischer Macht stützt«. 1) WTO als Partner? Dieser Politikansatz, der die wirtschaftliche Eigenständigkeit
betont, ist für die südkoreanische KCTU und andere Gewerkschaftsverbände
des Südens von zentraler Bedeutung. »Man erzählt den Regierungen (im Süden),
daß die Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiter die ökonomische
Entwicklung bremst - das ist eine Einschüchterungstaktik«, meint auch
Zwelinzima Vavi, der Generalsekretär des südafrikanischen
Gewerkschaftsdachverbandes COSATU. Diese Politik »unterminiert Entwicklung,
die es bei Massenarbeitslosigkeit und Armut nicht geben kann. Arbeiterrechte
sind ein Entwicklungsthema«, resümiert Vavi. Aber nicht nur im Süden, auch innerhalb des AFL-CIO sind
einige Gewerkschaften nicht der Überzeugung, daß mit der WTO diese Rechte
durchgesetzt werden können. »Das ist, als wolle man den Fuchs zum Wächter
des Hühnerstalls machen«, sagt Brian McWilliams, Präsident der US-
Hafenarbeitergewerkschaft ILWU, die während der WTO- Demonstrationen am 30.
November 1999 jeden Hafen an der Westküste dicht gemacht hatte. Für ihn
dient das NAFTA- Abkommen als abschreckendes Beispiel. 1994 wurde auch ein
Begleitabkommen verhandelt, das North American Agreement in Labour
Cooperation. Damit sollten die Arbeiterrechte in Kanada, den USA und Mexiko
geschützt werden. Doch es seien viele Fälle aktenkundig geworden, in denen
vor allem die US-amerikanische und die mexikanische Regierung dieses
Abkommen ignoriert hätten und sogar »Gewerkschaften zerschlagen worden
sind«. McWilliams spricht sich für eine Erweiterung der
Arbeitsstandards aus: Verbot von Streikbruch, Recht auf freie
Gesundheitsversorgung, existenzsichernde Löhne und Schutz für die Rechte
von Migranten. Er läßt jedoch offen, wer diese erweiterten Rechte
wahrnehmen soll. Dieser Kritik entgegnet der AFL-CIO, daß die Zahnlosigkeit
des NAFTA-Nebenabkommens durch Arbeitsschutzkonventionen in der WTO
korrigiert werden könne. Doch McWilliams bezweifelt dies. Er weist darauf
hin, daß die US-Regierung selbst bisher nur eine der fünf ILO-Konventionen
ratifiziert hat. Und es sei mehr als unwahrscheinlich, daß die USA die WTO
zur Anerkennung von Konventionen drängen, die sie selbst nicht akzeptieren.
Skepsis erzeugte auch das Verhalten des AFL-CIO- Präsidenten John Sweeney.
Der hatte im November 1999 einen Brief des Komitees für Außenhandelspolitik
unterzeichnet, in dem den Regierungszielen für die WTO- Runde in Seattle
zugestimmt wurde. Sweeney gehört diesem Beratergremium des US-Präsidenten
genauso an wie führende Köpfe US-amerikanischer Unternehmen, die diesen
Brief ebenfalls unterschrieben haben. Der Brief unterstützte die Regierung
bei ihrem Versuch, für US- Unternehmer und -Investoren einen größeren
Zugang zu ausländischen Märkten zu erzielen. Sweeney erklärt, er habe die
Zusicherung der Washingtoner Administration erhalten, daß sie umgekehrt auf
die Errichtung einer Arbeitsgruppe zu Fragen der Arbeitsstandards drängen
werde. In einer Stellungnahme der AFL-CIO wird diese Verpflichtung als »scharfe
Abkehr von der bisherigen Position der Geschäftswelt« bezeichnet, »nach
der Arbeiterrechte in keiner Weise ein Thema für die WTO seien«. Die
AFL-CIO fordert daneben einen harten Kampf, »um die WTO zu einer
demokratischeren und verläßlicheren Institution zu machen.« Der kanadische Gewerkschaftsdachverband CLC hatte dieser
AFL-CIO-Auffassung deutlich widersprochen. »Der Kampf von Gewerkschaften,
Umweltschützern und Bürgerrechtsgruppen geht um mehr als um einen Sitz am
Verhandlungstisch oder um irgendwelche >Sozialklauseln< oder
Umweltregularien«, heißt es in einer Erklärung des CLC. »Wir sind
entschlossen, das gesamte Handelssystem zu ändern.« Sweeneys Schritt hatte
auch viele amerikanische Gewerkschaftsführer vor den Kopf gestoßen. Steven
Yokich, Präsident der Automobilarbeitergewerkschaft UAW, war aus Protest
vom Vorsitz des Manufacturing and lndustrial Committee der AFL-CIO zurückgetreten.
Yokich wies darauf hin, daß seine Gewerkschaft, die ILWU, die
Transportarbeitergewerkschaft Teamsters und die Gewerkschaft der
Bundesangestellten es abgelehnt hätten, für die Unterstützung Al Gores
bei den letzten Präsidentschaftswahlen zu stimmen. Gores uneingeschränkte
Unterstützung der Außenhandelspolitik der Regierung war dabei der
entscheidende Stolperstein. Internationale Solidarität »Die Handelsdebatte fordert die traditionelle Sichtweise der
US-Gewerkschaften auf die Arbeiterklasse in den anderen Ländern der Welt
heraus«, meint Ex-Gewerkschaftssekretär Bacon. Auch wenn es immer noch
scharfe Meinungsverschiedenheiten gebe, so »sehen doch inzwischen - zum
ersten Mal seit den 40er Jahren - Millionen von Gewerkschaftsmitgliedern in
den USA, daß ihr Schicksal sehr eng mit dem der Arbeiter in buchstäblich
jedem anderen Land der Welt verbunden ist«. Diese Erkenntnis in ein reales
Solidaritätsprogramm zu gießen, sei die größte Herausforderung, der sich
die US- Gewerkschaften gegenwärtig stellen müssen. Gewerkschaften in anderen Ländern sind weiterhin mißtrauisch,
daß die US-Gewerkschaften von Eigeninteresse motiviert sein könnten, wenn
sie sich für internationale Arbeitsstandards stark machen. Gleichzeitig
gibt es ein wachsendes globales Bewußtsein darüber, daß kein nationaler
Dachverband allein über genügend Durchsetzungskraft verfügt und sich
deshalb mit der »weltweiten Bewegung vernetzen« muß, sagt Bacon. Die KCTU
spreche für viele Gewerkschaften, wenn sie darauf hinweise, daß »die Kämpfe
in irgendwelchen Ecken der Welt nicht länger losgelöst und isoliert
voneinander sind. Sie schaffen eine weltweite Bewegung mit einem neuen Geist
der internationalen Solidarität, in dem die Berechtigung aller Kämpfe
erkannt werde.« »Wir müssen einsehen, daß unser >Internationalismus<
im Unterschied zur real existierenden Internationale des Kapitals vollkommen
unzulänglich ist - als Konzept und als Organisation«, konstatiert der
Politologe Dan Gallin, Leiter des Global Labour Institute in Genf. Gallins
Sicht der Gewerkschaftspolitik ist nüchterner und weniger optimistisch als
die seines Kollegen Bacon. Tatsächlich sind die nordamerikanischen
Gewerkschaften in Theorie und Praxis den meisten ihrer europäischen
Schwesterorganisationen weit voraus. Supranationale und internationale
Gremien wie der IBFG und der EGB seien jedoch lediglich »lose
Koordinationsorgane von Gewerkschaftsbünden, die national denken, national
handeln und unfähig sind, über den nationalen Tellerrand zu blicken«,
erklärt Gallin. Das Kapital habe sich längst über die Grenzen des
Nationalstaates hinweggesetzt. Warum sollten dann ausgerechnet die
Gewerkschaften »die letzten Patrioten bleiben?« fragt der Politologe. »Die
Notwendigkeit eines neuen Internationalismus muß die Zukunftsdebatte in den
Gewerkschaften bestimmen.« Dazu gehört für Gallin eine Rückbesinnung auf
einen politischen Solidaritätsbegriff und ein Organisationsansatz, der auch
den informellen Sektor umfaßt. 2) Neue Verteilungsgerechtigkeit In Deutschland hat vor allem die IG Metall den Kampf gegen
die neoliberale Globalisierung in ihr Vokabular aufgenommen und rief auch
zur Teilnahme an den vom EGB organisierten Protesten gegen den EU-Gipfel in
Nizza auf. Die tatsächliche Mobilisierung stand allerdings im scharfen
Widerspruch zum Aufruf - das kleine Slowenien mobilisierte ebensoviele
Teilnehmer zur Großdemonstration wie die deutschen Gewerkschaften, was die
französische Presse spitz kommentierte. Anders sieht es in Deutschland auf
der Betriebsebene aus. Dort scheint sich bei einigen das Bewußtsein
durchzusetzen, daß auch Gewerkschaften und abhängig Beschäftigte zur
Antiglobalisierungsbewegung gehören. »Besonders jetzt, da die Bewegung der
Gegner der neoliberalen Politik ein so hohes Maß an gesellschaftlicher
Aufmerksamkeit und durchaus auch Akzeptanz erlangt hat, muß der Platz der
internationalen und somit auch der deutschen Gewerkschaftsbewegung an ihrer
Seite sein«, meinen mehrere Betriebsräte und Vertrauenskörperleiter in
einem Aufruf für die Proteste gegen den G8-Gipfel in Genua. Denn die abhängig
Beschäftigten seien die Hauptzielscheibe der von den Regierungen der
G8-Staaten vorangetriebenen Politik der Privatisierung bisher öffentlicher
Leistungen sowie einer allgemeinen Deregulierung gesetzlicher und
tariflicher Bedingungen. Die Folgen dieser Politik können die Betriebsräte
auf dem Hintergrund ihrer konkreten Erfahrungen aufzählen: Lohnabbau und
Zunahme unsicherer Beschäftigungsverhältnisse. Und die andere Seite bleibt
den Gewerkschaftern natürlich auch nicht verborgen: Die deutliche
Vermehrung privaten Reichtums. »Kampagnen der Gewerkschaften für eine neue
Verteilungsgerechtigkeit« könnten auf nationaler Ebene nur dann
erfolgreich sein, wenn »die deutschen Gewerkschaften sich gleichzeitig auf
internationaler Ebene an Protesten gegen den Neoliberalismus beteiligen«.
3) 1) David Bacon: Können Arbeiter die Globalisierung besiegen?
San Francisco/Labournet Germany,
16.01.2000 2) Dan Gallin: Gewerkschaftsbewegung und neuer
Internationalismus. Widerspruch Nr.40, 21.Jg./1.Halbjahr 2001 3) Labournet Germany, Juni
2001 (www.labournet.de) Quelle: Junge
Welt Politik
9.7.2001
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