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zurück zu Stichwörter, Fragen & Antworten ATTAC bläst zum Gegenangriff Akteure des Widerstands - zur Geschichte der
Antiglobalisierungsbewegung (Teil 3). Neben Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen (NGO)
haben sich innerhalb der Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung
auch milieuübergreifende, internationale Netzwerke herausgebildet. Das in
Europa bekannteste ist ATTAC. Im Dezember 1997 lancierte ein Leitartikel des
Chefredakteurs der Monatszeitung Le Monde diplomatique, Ignacio Ramonet,
unter dem Titel »Die Märkte entwaffnen« die Idee, »auf weltweiter Ebene«
eine NGO ins Leben zu rufen, »um Druck auf die Regierungen zu machen, damit
sie endlich diese internationale Solidaritätssteuer« einführen. Gemeint
war damit die durch den US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler James
Tobin Ende der 70er Jahre vorgeschlagene Steuer in Höhe von 0,l Prozent auf
internationale spekulative Kapitalflüsse. Ramonet schlug auch gleich einen
möglichen Namen für diese NGO vor, nämlich ATTAC - »Aktion für eine
Tobin- Steuer als Hilfe für die Bürger« (Action pour une Tax Tobin d'aide
aux citoyens). Die Initialen sollten, aufgrund ihrer sprachlichen Nähe zum
französischen Wort attaque, zugleich den Übergang zur »Gegenattacke«
signalisieren, nach Jahren der vermeintlich »notwendigen Anpassung an die
Globalisierung«. 1) In Frankreich fiel dieser Appell der in fortschrittlichen
Kreisen einflußreichen internationalen Zeitung auf fruchtbaren Boden. Schon
die große Streikwelle Mitte der 90er Jahre hatte das kritische Bewußtsein
vieler Franzosen gegenüber dem Neoliberalismus geschärft, dessen
internationale Dimension durch die Asienkrise Ende 1997 nochmals
verdeutlicht wurde. Heute hat Attac mehr als 30 000 individuelle und
institutionelle Mitglieder: Menschenrechtsorganisationen, Umweltgruppen,
Gewerkschaften, Erwerbslosenorganisationen und Antirassismus-initiativen -
aber keine Parteien, denn ATTAC will mehr sein als ein »Kartell von
politischen Strömungen«. 2) Das Netzwerk biete »einen neuen Rahmen für
politische Organisierung, Bildung und Aktion; und dies zu einem Zeitpunkt,
wo sehr viele Aktive sich in den traditionellen Formen des politischen
Handelns nicht mehr wiederfinden«, meint Pierre Rousset, Mitarbeiter der
Abteilung »Internationales« bei ATTAC-Frankreich. Die Aktivitäten haben sich schnell über den Bereich der
Tobin-Tax und die »demokratische Kontrolle der Finanzmärkte« hinaus
ausgeweitet. Mittlerweile umfaßt der Tätigkeitsbereich von ATTAC auch die
Handelspolitik der WTO, die Verschuldung der dritten Welt und die
Privatisierung der staatlichen Sozialversicherungen und öffentlichen
Dienste. Inzwischen gibt es ATTAC in 26 afrikanischen, europäischen
und lateinamerikanischen Ländern. Selbst in einer Diktatur wie Tunesien
entstand ein ATTAC-Ableger namens RAID (Sammlung für eine internationale
Entwicklungsalternative), der jedoch zu einer Hauptzielscheibe staatlicher
Repression und im Jahr 2000 weitgehend zerschlagen wurde. In Deutschland hatten im Januar 2000 mehrere NGOs, darunter
Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung (WEED), die Inititative für
ATTAC-Deutschland (ATTAC-D) ergriffen. Das Treffen in Frankfurt am Main war
mit zirka 100 Teilnehmern mäßig besucht. Sie einigten sich auf ein loses
Netzwerk mit einem Koordinierungskreis und regelmäßigen Ratschlägen. Die
Tobin-Tax stand im Mittelpunkt der politischen Initiativen und war
Hauptgegenstand des nächsten Ratschlags in Hannover, den nur noch knapp 80
Teilnehmer besuchten. Als dann im November des vergangenen Jahres nur noch
50 Aktivisten Interesse zeigten, reifte die Einsicht, daß ein »gutes
inhaltliches Niveau nicht ausreicht«, erklärte Werner Rätz, Mitarbeiter
des Koordinierungskreises. ATTAC-D einigte sich darauf, daß man künftig
den neu entstandenen Regionalgruppen ein größeres Gewicht geben sollte, um
eine bessere regionale Verankerung zu gewährleisten. Auch wurde die
Themenpalette ausgeweitet. Mit der Rentenfrage habe ATTAC-D einen »wirklich
materiellen Anknüpfungspunkt gefunden«, meint Rätz, über den man auch
verstärkten Zugang zum gewerkschaftspolitisch engagierten Milieu bekommen
habe. Globalisierung menschengemacht ATTAC-D hat sich zum Ziel gesetzt, der Ohnmacht ein »Gefühl
der Hoffnung entgegenzusetzen«, so Rätz, denn es handele sich bei den ökonomischen
Verhältnissen nicht um »Sachzwänge, sondern sie sind von Menschen gemacht
und deshalb veränderbar«. »Globalisierung«, führt ATTAC- Sprecher Felix
Kolb weiter aus, sei »kein unaufhaltsamer Prozeß zum Wohle aller Menschen,
sondern ein politisches Programm mit wenigen Gewinnern und vielen Verlierern«.
Sie werde auf Druck transnationaler Konzerne und Kapitaleigner vor allem von
den Regierungen westlicher Industriestaaten vorangetrieben. »Wir wollen
Menschen Mut machen, sich dieser Machart der Globalisierung zu widersetzen
und durch Selbstorganisation politische Gegenmacht zu entwickeln«, erklärt
Kolb. In Deutschland haben über 80 Organisationen und viele prominente
Einzelpersonen die von ATTAC verfaßte »Erklärung für eine demokratische
Kontrolle der internationalen Finanzmärkte« unterzeichnet. Dazu gehören
der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), die Gewerkschaften ÖTV und HBV
sowie viele Initiativen aus dem entwicklungspolitischen und kirchlichen
Bereich, z.B. BLUE 21, Kairos Europa und Pax Christi. Aktionen haben bisher
vor allem die Regionalgruppen durchgeführt, z.B. anläßlich des »Armuts-
und Reichtumsberichts« der Bundesregierung und eines außenhandelspolitischen
Treffens mit dem WTO-Chef in Berlin. Selbstverständlich mobilisiert ATTAC
auch zu den internationalen Demonstrationen und führt Mitte Oktober eine
bundesweite Konferenz in Berlin durch. Wegen ihrer heterogenen Zusammensetzung und ihrer stärkeren
Einbindung von Gewerkschaften und Verbraucherverbänden ist vor allem die
französische Mutterorganisation eine nähere Betrachtung wert. »In ATTAC
sind Organisationen zusammengekommen, die anderswo zum Teil in Konkurrenz
zueinander stehen«, beschreibt Pierre Rousset. Seit mehreren Jahren habe
sich in Frankreich eine Tradition der Einheit herausgebildet, durch die
zahlreiche Organisationen lernen konnten, trotz ihrer Differenzen gemeinsam
zu handeln. Ende der 90er Jahre sei dann das Bewußtsein neuer »Nord-Süd-Solidarität«
herangereift - »eine zwar relative, doch neue Schicksalsgemeinschaft gegenüber
der universellen neoliberalen Politik entstand«. ATTAC, so Rousset, sei
konkreter Ausdruck dieser Entwicklungen. Als besonderen Fortschritt
beschreibt Rousset auch die Verbindung zwischen Stadt- und Landbevölkerung.
Die »Confédération Paysanne«, französischer Ableger des internationalen
Kleinbauernverbandes »Via Campesina«, gehört zu den Gründungsorganisationen
von ATTAC in Frankreich. »Daß sich eine städtische Bevölkerung im Kampf
eines Bauernverbandes wiederfindet, sagt viel über die Krise des
herrschenden Gesellschaftsmodells aus«, meint Rousset. Es werde zunehmend
eine Verbindung zwischen öffentlicher Gesundheit, Nahrungsmittelproduktion
und von ökologischen und sozialen Forderungen gesehen. 3) Gestritten wird bei ATTAC in Frankreich mit viel Elan.
Bernard Cassen, 1998 zum ATTAC-Vorsitzenden gewählt und derzeit Direktor
der Le Monde Diplomatique, spricht sich für eine stärkere politische
Regulierung der Weltökonomie aus. Diese könne nur durch die
Nationalstaaten - eventuell in einer Union wie der EU zusammengeschlossen -
erfolgen, deren Rolle gegenüber den internationalen Finanzmärkten gestärkt
werden müsse. Im Hintergrund steht die Idee eines sozialstaatlichen Modells
der 70er Jahre. Auch die Gruppe »Raison d'agir« um den französischen
Intellektuellen Pierre Bourdieu sieht den Staat als mögliches Bollwerk
gegen die »Globalisierung« und schreibt auch der EU eine positive Rolle
zu, wenn sich endlich die Ausrichtung der Politik ändere. Dennoch setzen
auch Bourdieu und Cassen auf das Primat des Sozialen gegenüber der
Wettbewerbsfähigkeit. Auf der anderen Seite stehen eher
bewegungsorientierte, internationalistische Ansätze, die nicht auf die
Nationalstaaten und ihre Regierungen setzen, sondern diese tendenziell als
Instrument der dominierenden ökonomischen Kräfte begreifen. Programmatische Differenzen Auf einem internationalen Treffen unter dem Titel »Ein Jahr
nach Seattle«, das ATTAC zusammen mit mehreren Partnerinitiativen im
vergangenen Winter in Paris veranstaltete, kamen die politischen Differenzen
deutlich zum Ausdruck. Auf dem Podium stellte der marxistische
Intellektuelle Michael Löwy gegenüber den Regulierungsbefürwortern vor
2000 Teilnehmern klar, die anzustrebenden »Alternativen zum Neoliberalismus«
seien in seinen Augen notwendigerweise »Alternativen zum Kapitalismus
selbst«. So halte er die Idee einer »Rückkehr zum nationalstaatlichen
Klassenkompromiß der Jahre 1945- 1975 für illusionär«. Im übrigen dürfe
man nicht vergessen, daß dieser Kompromiß in den Industrieländern »auf
der Grundlage einer Serie imperialistischer Kriege beruhte, z.B. in Algerien
und Vietnam«. Die Wirtschaftswissenschaftlerin und Le Monde
Diplomatique-Autorin Catherine Samary ging ihrerseits hart mit französischen
Vorrednern der Regierungsparteien ins Gericht, die zuvor die EU als mögliches
Regulierungsorgan der internationalen Ökonomie dargestellt und dabei
verschwiegen hatten, welche reale Rolle die EU in der Weltwirtschaft spielt.
4) Nach Ansicht von Pierre Rousset zeichnet sich ATTAC auch dadurch aus, daß
diese Auseinandersetzungen nicht »zur Bildung von verfestigten Strömungen
im Netzwerk führen oder seine Einheit in Frage stellen«. Dies ist einer
realistischen Analyse der Kräfteverhältnisse geschuldet. Denn die
internationalen Finanzinstitutionen verändern zwar ihren Diskurs und bemühen
sich, die NGO mit ins Boot zu nehmen. »Doch in der Praxis ist der
ultraliberale Kurs des gegenwärtigen Kapitalismus weder eingedämmt noch rückgängig
gemacht. Und dies dürfte dazu beitragen, daß die Widerstandsbewegungen
gegen die Globalisierung ihre Dynamik behalten«, schlußfolgert Rousset. Ähnliche
Kontroversen kristallisieren sich in den letzten Wochen auch bei ATTAC in
Deutschland heraus. Ein Auslöser war das Interview der WEED-Vorsitzenden
Barbara Unmüßig mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im April. Die NGO
WEED, deren Vertreter auch im Koordinierungsausschuß von ATTAC sitzen, »zählt
sich nicht zu den Globalisierungsgegnern, sondern verlangt nach politischen
regulativen Eingriffen, um die negativen sozialen und ökologischen Folgen
der Globalisierung zu verhindern«, sagte Unmüßig gegenüber der FAZ. »Wir
fordern nicht die Abschaffung des IWF, sondern beschäftigen uns mit der
Frage, wie der IWF reformiert werden kann«. Spätestens ihr Bedauern darüber,
daß der Dialog zwischen ATTAC und der »deutschen Wirtschaft allenfalls am
Anfang« stehe, löste massive Kritik bei einigen Regionalgruppen aus. »Dem
richtungsblinden freien Markt Grenzen zu ziehen und ordnungspolitische Ziele
vorzugeben, reicht nicht aus«, meinte etwa Rudolf Stratmann von der ATTAC-
Regionalgruppe in Hamburg, vielmehr seien Konzepte erforderlich, »wie die
gesamte Reichtumsproduktion im Allgemeininteresse zu gestalten und zu
verteilen ist«. 1) Bernhard Schmid, ATTAC - Eine andere Welt ist möglich.
Sozialistische Zeitung, 31. 1. 2001 2) Pierre Rousset, ATTAC, eine Volksbildungsbewegung,
ausgerichtet auf Aktionen. Internationale Pressekorrespondenz, Nr. 353, März
2001 3) Ebd. 4) Bernhard Schmid, ATTAC - Eine andere Welt ist möglich.
Sozialistische Zeitung, 31. 1. 2001
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