zurück zum 2001er Pressearchiv Hambach, Autobahn 4
Big Bagger schaufelt Zuschauer ran
Wenn zwei Ungetüme der Tagebau-Technik auf Reisen gehen, gibt es kein offenes Ohr
für kritische Demonstranten. Was zählt, ist die Show
von MARCUS MEIER
Bergheim taz - An der A61 herrscht Volksfeststimmung. Schon nachmittags sind Tausende
ins rheinische Bergheim geströmt, um das große Happening nicht zu verpassen: Bagger
meets Bagger. Rheinbraun hat Sonderbusse eingesetzt, um ein Verkehrschaos zu verhindern.
Trotzdem haben viele den eigenen PKW vorgezogen. Auf den Zufahrtsstraßen setzen sich
Schaulustige wild über die Verkehrsordnung hinweg. "So möchte ich auch mal
parken", schimpft ein Polizist. An Ständen werden Würstchen, Reibekuchen und
Glühwein feilgeboten. Und gravierte Gläser mit Baggermotiv. Die finden reißenden
Absatz. Ein Zehn-Mark-Schein nach dem anderen wechselt den Besitzer. "Ich mache ein
gutes Geschäft", reibt sich Karljosef Junggeburth die Hände. Nicht alle sind in
Feierstimmung. "Zukunft schützen - Bagger stoppen" steht auf den Pappschildern
des kleinen Häufleins, das sich zum Protest versammelt hat. Die rund dreißig
Braunkohlegegner haben in sicherer Entfernung zu Bagger "288" eine kleine
Landschaft aus Pappmache aufgebaut. Ortsschilder sollen die Dörfer symbolisieren, denen
durch das Tagebaugebiet Garzweiler II Zerstörung droht. "Die sollen alle
weggebaggert werden", erläutert Dirk Jansen. Der Landesgeschäftsführer des Bundes
für Umwelt- und Naturschutz (BUND) warnt vor der drohenden Absenkung des
Grundwasserspiegels. Er befürchtet irreparable Schäden für den Naturpark Schwalm-Nette.
Doch das interessiert die Bagger-Touristen nicht. Nur ein einziger von ihnen verirrt sich
zu den Protestierenden, lässt sich ein Flugblatt reichen. Irgendwie erinnert die kleine
Gruppe an Don Quichottes aussichtlosen Kampf gegen die Windmühlen. Besonders wohl
gelitten sind die Umweltschützer hier nicht. "Das sind alles Fahrradfahrer und
so", klärt ein Familienvater seinen Sohn auf, und seine Stimme verrät Abscheu. Ein
paar Meter weiter, am Imbissstand, diskutieren zwei Schweinswurstesser. "Mensch, man
kann die Zeit doch nicht zurückdrehen wollen", philosophiert der eine. "Aber
die müssen doch demonstrieren dürfen", sagt der andere jovial. Noch stehen sie
friedlich im Matsch, die beiden stählernen Giganten der RWE-Braunkohle-Tochter
Rheinbraun. Zur Rechten: Bagger "259". 40 Jahre alt. 70 Meter hoch. 8.000 Tonnen
Lebendgewicht. Zur Linken der 23-jährige "288": 13.000 Tonnen schwer, 240 Meter
lang, 96 Meter hoch - der größte Schaufelradbagger der Welt. Und in der Mitte: Die
Autobahn 61, die beide in der Nacht zu Sonntag überqueren werden. Schon seit dem 3.
Februar ist "288" unterwegs. 22 Kilometer können ganz schön lang sein, wenn
man gerade zwei bis zehn Meter pro Minute voran kommt und neben der A 61 noch mehrere
Straßen und einen Fluss überqueren muss. Ein
82-Quadratkilomter-Loch hat "288" im Tagebaugebiet Hambach hinterlassen, das bis
zu 450 Meter tief ist - das größte Loch Europas. Seit 1978 hat er täglich Kohle und
Abraum in der Größenordnung von bis zu 2.400 Kohlewaggons losgebuddelt. Nun hat er dort seine Schuldigkeit getan, soll durch "259" aus
Bergheim ersetzt werden (siehe Kasten). "288" soll jetzt im Tagebau Garzweiler I
seine Schaufelräder kreisen lassen. Und ab 2006 in Garzweiler II. Wenn denn dort jemals
Kohle abgebaut wird. SPD, CDU und die Bergbaugewerkschaft IG BCE plädieren zwar vehement
dafür. Wegen der Arbeitsplätze und der angeblichen Unverzichtbarkeit der Braunkohle für
die Energieversorgung. Bis zur Mitte dieses Jahrhunderts soll Garzweiler nach ihrer
Vorstellung den Braunkohlebedarf Westdeutschlands decken. Die grüne NRW-Umweltministerin
Bärbel Höhn glaubt derweil, dass es nicht so weit kommt. Denn Garzweiler sei für
Rheinbraun schlicht zu teuer - wegen der von ihr verhängten Auflagen. "Den
Rest", meint Höhn, "regelt der Markt". Die Protestierenden haben sich zum
Gruppenbild mit Bagger aufgestellt. Die Verschlüsse der Fotoapparate klicken. Nein, auf
die Landesregierung sei er nicht gut zu sprechen, sagt Dirk Jansen. Die konterkariere ihre
Klimaschutzziele, wenn sie auf Braunkohle setze. "Braunkohle ist der Klimakiller
schlechthin und zementiert die bundesweite Spitzenstellung NRWs bei den energiebedingten
Kohlendioxid-Emissionen." Ein Feuerwehrwagen bahnt sich seinen Weg durch die kleine
Schar der Aufrechten. Nur unter Murren weichen
sie zur Seite. "Passen Sie doch wenigstens auf die Kinder auf", ruft eine Frau.
Leicht touchiert das Spritzenfahrzeug einen der Demonstranten. Der lässt sich
theatralisch in die Böschung fallen. Aber keiner der rund zwanzig Kameraleute und
Fotografen nimmt von dem Vorfall Notiz. Enttäuscht blickt der Schnauzbart auf, wischt
sich den Schmutz von der Hose. Ein Mann stellt sich dem Fahrzeug
wütend in den Weg. "Wenn Sie das nicht sofort unterlassen, werden Sie von der
Kundgebung ausgeschlossen!", fährt ein Ordner den Renitenten an. Der gehorcht
sofort. Das Feuerwehrauto kommt 100 Meter weiter zum Stehen. Und verbleibt dort den Rest
des Tages, denn benötigt wird es nicht. Skeptisch beobachtet Erwin Winkel die
Braunkohlegegner. Gewiss: Er könne deren Betroffenheit nachvollziehen, sagt der
Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Rheinbraun. Aber: "Wir als Rheinbraun-Belegschaft
stellen die Arbeitsplatzsicherheit in den Vordergrund." Winkel wettert: Deutschland
dürfe auf die Braunkohle nicht verzichten, denn das würde nur zum "Export von
Wertschöpfung" führen. Stattdessen müssten "deutsche Arbeitsplätze"
erhalten bleiben. Zumal "wir die Braunkohle brauchen, vor allem im
Grundlastbereich". Die Gewerkschaftsbasis
macht sich währenddessen über die Ortsnamen auf den Schildern der Demonstranten lustig:
"Boh, guck mal, Otzenrath", sagt ein junger Mann mit Glühwein-Fahne und
RWE-Helm. Und lacht: "Votzenrath!" Kurz nach
Mitternacht setzt sich "288" in Bewegung. Im Schneckentempo überquert der
Koloss die eigens aufgeschüttete Rampe, rollt über die A 61, die durch ein 2 Meter
dickes Polster aus Sand und Kies geschützt wird. Jetzt ist erst recht Party angesagt:
Sektkorken knallen, Bierdosen zischen. Auf einem Bollerwagen steht ein Kölsch-Fässchen,
das seines Inhaltes schnell verlustig geht. Bei den Rheinbraun-Arbeitern dürfte die gute
Stimmung bald wieder verfliegen: Bis 2004 wird der Weltmarktführer ein knappes Drittel
seiner 16.000 Mitarbeiter entlassen. Nein, um die deutschen Arbeitsplätze ist es nicht
gut bestellt. Im Juli letzten Jahres wurde ein Vorruhestandsplan für Über-51-Jährige
beschlossen. Er trägt die Unterschrift von Betriebsratsboss Erwin Winkel.
stichwort
Von Loch zu Loch: Von Bergheim nach Hambach - von Hambach nach Garzweiler
Weil es sich ausgebaggert hat im Tagebau Bergheim, soll die Braunkohleförderung im
benachbarten Hambach langfristig von 30 auf 40 Millionen Tonnen Kohle pro Jahr
hochgefahren werden. Damit soll nicht zuletzt das Kohlekraftwerk Niederaußem befeuert
werden, das 2003 ans Netz gehen soll. So lauten die offiziellen Pläne des
Tagebaubetreibers Rheinbraun. Doch warum wird der Bagger "288" dann in Hambach
nicht mehr benötigt? Warum soll er durch den kleineren "259" ersetzt werden?
"Durch technische und betriebliche Maßnahmen wurde die Geräteauslastung im Tagebau
Hambach erheblich gesteigert", sagt Rheinbraun-Pressereferentin Felicia Sigglow. Doch das ist allenfalls die halbe Wahrheit. Denn eine
Erhöhung der Fördermenge würde sich in Hambach nicht lohnen. Das geplante Kraftwerk
Niederaußem wird nicht für Hambach- sondern für Garzweiler-Kohle optimiert werden. Das
glaubt zumindest Peter Inden, Sprecher der tagebaukritischen Bürgerinitiaven vor Ort.
"Die in Hambach geförderte Kohle ist einfach zu schlecht für Niederaußem",
sagt Inden. "Deswegen geht der Bagger nach Garzweiler!" Dort wird "288" offenbar dringend benötigt. Der Tagebau Garzweiler
I soll nach Rheinbraun-Darstellung 2006 vollständig leergebaggert sein und dann durch
Garzweiler II ersetzt werden. "288" soll, sagt Rheinbraun-Sprecherin Sigglow,
zunächst die Kohleförderung steigern und langfristig ältere Geräte ersetzen, um dann
in Garzweiler II zum Einsatz zu kommen. Doch Dirk Jansen vom Bund für Umwelt- und
Naturschutz NRW glaubt nicht, dass Rheinbraun diesen Zeitplan wird einhalten können.
"Rheinbraun ist jetzt schon im Zeitverzug", sagt er. Weswegen das Unternehmen
bemüht sei, effizienter zu arbeiten und die Förderergebnisse zu steigern. "Und da
braucht´s den Riesenbagger 288", so Dirk Jansen. Der kann mit den 18 Eimern seines
Schaufelrades 240.000 Tonnen Kohle oder Kubikmeter Abraum pro Tag fördern. Eine Menge,
mit der 16.000 Laster gefüllt werden können. Bagger "259" schafft nur knapp
die Hälfte dieser Fördermenge: 110.000 Kubikmeter pro Tag. Kein Wunder, ist er doch
nicht nur 17 Jahre älter als "288", sondern schneidet auch in punkto
Schaufelraddurchmesser und mittlerem Bodendruck deutlich schlechter ab als der
"große Bruder". Dafür ist "259" wendiger: Sein Kurvenradius ist mit
50 Metern nur halb so groß wie der von "288". mme
Quelle: 22/02/01 taz-ruhr
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