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Raus aus der Nische

Vor zehn Jahren trat das Stromeinspeisungsgesetz in Kraft: Startschuss für die Energiewende. Die Windkraftbranche verdankt ihm den Aufschwung

Wer heute an der Nordseeküste in Richtung Nordenham fährt, der kann auf dieser Tour ein Stück Technikgeschichte erleben. Zwischen großen Windparks mit einer Leistung von mehr als zehn Megawatt und Rotoren mit einer Länge von gut 30 Metern tauchen ganz unscheinbar winzige Propeller auf. Kleine Anlagen mit 20, 50, 80 und 100 Kilowatt, die auch heute nach gut zehn Jahren noch immer eifrig Windenergie produzieren. Man sieht sie unmittelbar an Bauernhöfen stehen, nicht weit davon entfernt drehen sich die High-Tech-Turbinen im Wind. "Mit den kleinen Mühlen hat vor zehn Jahren alles mit der Windenergie angefangen", weiß Wolfgang Daniels, der für die Grünen im damals noch Bonner Bundestag saß. Zusammen mit dem CSU-Abgeordneten Matthias Engelsberger hat er das Stromeinspeisungsgesetz im Herbst 1990 - nach einer Zitterpartie - durchgeboxt. Mit dem Ergebnis konnten die Windpioniere im Binnenland und auch die Windmüller an der friesischen Nordseeküste gut leben. Per Gesetz wurden die Energieversorger verpflichtet, den in ihre Netze eingespeisten Strom mit 17 Pfennig pro Kilowattstunde zu vergüten.

Das war der finanzielle Rahmen, der unter schwarz-gelber Regierungskoalition dafür gesorgt hat, dass die Windenergie zum Siegeszug ansetzen konnte. "Da ging ein Ruck durch die Szene, die damals noch überschaubar war. Jeder kannte jeden", erinnert sich Volker König, Windpionier aus dem niedersächsischen Melle bei Osnabrück. Heute ist König bei Babcock Borsig Energy für strategische Planungen, insbesondere für den Ausbau von Biomasse-Projekten zuständig. In den 90er-Jahren hat er mit drei Freunden Nordex-Propeller vermarktet und letztlich auch mit dafür gesorgt, dass die erste 800-Kilowatt-Mühle in Deutschland gebaut wurde.

"Das war damals nach der Verabschiedung des Stromeinspeisungsgesetzes eine echte Aufbruchstimmung", erzählt Norbert Giese, Geschäftsführer der AN Windenergie GmbH in Bremen. Energiewende war das Stichwort für Giese und viele andere treibende Kräfte der Windkraftbranche, die ab 1991 beim Ausbau der Windenergie Tempo machten. Sie kamen mehrheitlich aus der Anti-AKW-Bewegung, wollten Zeichen setzen und zeigen, dass fünf Jahre nach Tschernobyl mit Windkraft ein Großteil der Energie in Deutschland hergestellt werden kann.

"Relativ schnell haben wir erkannt, dass wir mit den kleinen 50- oder 80-Kilowatt-Mühlen die geplante Energiewende noch nicht in tausend Jahren schaffen würden", meint Werner Napp, der damals neben Volker König im Nordex-Team reihenweise Windräder vor allem an Landwirte verkaufte.

Die technische Entwicklung bei der Weiterentwicklung der Turbinen erfolgte im Sauseschritt. Die Propeller wurden immer größer, die Rotoren immer länger. Innerhalb von nur zehn Jahren hat sich die Durchschnittsleistung der installierten Anlagen von 50 kW auf fast 1.300 kW verbessert - bei gleichzeitiger Optimierung der Laufzeiten. "Manchmal macht mir das Tempo der Entwicklung Sorgen", sagt Luise Junge, Windkraftpionierin aus Schleswig-Holstein und Herausgeberin des Windkraft-Journals. Sie kann sich noch gut an das schnelle Ende des Riesenpropellers Growian (Leistung: drei Megawatt) Ende der 80er-Jahre erinnern. Danach war die Windkraft für Industrieunternehmen wie MAN gestorben. Heute erreichen Serienanlagen wieder eine vergleichbare Leistung. Die N-80 von Nordex bringt es immerhin auf 2,5 Megawatt (MW) und ist damit die weltweit größte in Serie gebaute Turbine. "Vor zehn Jahren habe ich von einer solchen Mühle nur geträumt", meint Ex-Nordex-Mann König.

Vor zehn Jahren hat auch keiner in der Windkraftszene damit gerechnet, dass ein Tüftler und Wíndkraftfan wie der Auricher Ingenieur Aloys Wobben dereinst den Deutschen Umweltpreis verliehen bekommen würde. Innerhalb kürzester Zeit hat Wobben als "Start-up"-Unternehmer einen Windtechnik-Konzern aufgebaut, der heute über 2.300 Mitarbeiter beschäftigt. Seine getriebelosen Enercon-Turbinen vom Typ E-40 und E-66 gehören zu den weltweit gefragtesten Windkonvertern.

Das Beispiel Enercon zeigt vor allem eines: Nicht nur in der New Economy gibt es die kreativen "Garagen-Unternehmer" à la Hewlett Packard. Wobben fing ebenfalls in einer Garage an, seine ersten 50-kW-Mühlen zu bauen. Heute ist er einer der erfolgreichsten deutschen Arbeitgeber in der Regenerativbranche.

Während sich 1991 die Umsätze der gesamten Turbinenbauer-Branche noch in zweistelligen Millionenbeträgen bewegte, haben die Windkraftunternehmen allein im vergangenen Jahr rund drei Milliarden Mark umgesetzt. Tendenz weiter steigend, denn schließlich sind die Prognosen allein für Deutschland bis zum Jahr 2010 rosig. Rund 9.000 Windräder mit einer Leistung von knapp 6.000 MW produzierten hier zu Lande im vergangenen Jahr immerhin schon fast zwei Prozent der jährlichen Stromverbrauchs. "Das hätte 1991 kaum jemand für möglich gehalten", meint Volker König.

Klar ist, trotz des hartnäckigen Widerstandes der Energieversorgungsunternehmen - die haben die Mühlenbetreiber mit ihren winzigen Propellern zunächst nur belächelt - konnte die Windenergie jährliche Wachstumsraten von durchschnittlich 20 Prozent verbuchen. Getragen wurde diese Entwicklung ohne Zweifel vom Stromeinspeisungsgesetz, das sich aus heutiger Sicht als echter Motor für den Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland erwiesen hat.

Schade nur, dass mit dem Kommerz bei der Windenergie auch einige Schwarze Schafe den sauberen Ruf der Branche gefährden. "Heute geht es vielen Windparkplanern vor allem um die schnelle Mark", ärgert sich Hermann-Josef Philips, Windpionier aus der Eifelortschaft Pronsfeld. Schade auch, dass es der Windenergie-Branche im zehnten Jahr ihres Booms nicht gelungen ist, eine breite Akzeptanzkampagne anzuschieben. Ähnlich wie die "Solar, na klar!"-Kampagne könnte so ein Projekt für den zügigen Ausbau der Windenergie die Bevölkerung begeistern. Angesichts zunehmender Protest-Initiativen, die teils von irrationalen Argumenten geleitet sind, wäre eine solche Kampagne durchaus sinnvoll. MICHAEL FRANKEN

Quelle: taz Nr. 6357 vom 27.1.2001, Seite 23, 205 Zeilen TAZ-Bericht MICHAEL FRANKEN , in taz-Bremen-Hamburg: S.35

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