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Zurück zum Pressearchiv Liberalisierung des Strommarktes

Die Stromdiebe

Wie die freie Marktwirtschaft Kalifornien in Geiselhaft nimmt. Von Joe Giordano, New York

Die Weltöffentlichkeit, die sich hämisch am Fiasko der Stimmenauszählung in Florida delektierte, wird auch an der Stromkrise in Kalifornien ihre Freude haben. Wenn bei jener Supermacht, die der Welt beständig mit der Anpreisung ihrer überlegenen Wirtschaftsweise in den Ohren liegt, das Licht ausgeht, dreht man gerne die eigenen Lampen voll auf und vergißt, daß auch außerhalb der USA nicht unbedingt »unamerikanisch« gewirtschaftet wird und schon übermorgen hier das Gleiche eintreten könnte, was heute dort ein Paradebeispiel verfehlter Energieversorgungspolitik ist.

Jedenfalls murrt auch die Bevölkerung Kaliforniens über die nun ausgegebene Parole zum Selbstverzicht, und nicht wenige zogen die stundenweise Zwangsabschaltung der Stromversorgung dem freiwilligen Stromsparen vor, was auf eine gesunde Mischung von Renitenz und Problembewußtsein hindeutet, aus der vielleicht eine Basisbewegung zur vernünftigen Organisierung der Stromversorgung Kaliforniens erwachsen könnte.

Akt moderner Piraterie

Was war geschehen? Was in der europäischen Presse verfälschend als verfehlte Deregulierung der Stromversorgung Kaliforniens kolportiert wird, nahm seinen Ausgang in einem 1996 verabschiedeten Gesetz, welches 1998 in Kraft trat und sowohl eine der schlimmsten Wirtschaftsbetrügereien der US- Geschichte als auch eine der spektakulärsten Fehlkalkulationen der Unternehmensgeschichte Amerikas darstellt. Die drei Hauptversorger Kaliforniens, Pacific Gas & Electric (PG&E, der damals größte private Energieversorger der USA), San Diego Gas & Electric und Southern California Edison (SoCalEd) waren es leid, in ihrem Gewinnstreben an regulierte Endverbraucherpreise gebunden zu sein. Zudem drohten ihre industriellen Großkunden damit, sich eigene, moderne Gasturbinenkraftwerke zu bauen und durch Ausnutzung des niedrigen Erdgaspreises sich selbst mit billigem Strom zu versorgen. Weiter schmälerten die veralteten Generatoren der drei Platzhirsche, vor allem die verschlissenen Atomkraftwerke, wegen der Strompreisbindung die Gewinnspanne.

Nachdem die Gesetzgeber mit dem handfesten Argument generöser Wahlspenden und die Öffentlichkeit mit dem simplen Versprechen auf sinkende Strompreise geködert worden waren, machte man sich in den Büros von SoCalEd daran, eine Gesetzesvorlage auszuarbeiten, die vorsah, Energieproduktion und Stromzulieferung zu trennen. Das Stromnetz selbst sollte weiterhin reguliert und im Besitz der drei Firmen bleiben, der Zugang dazu jedoch für alle Stromerzeuger geöffnet werden. Den Gewinn wollte man aus der Verteilung billiger, auf dem freien Markt erstandener Elektrizität ziehen.

Es war aber ein offenes Geheimnis, daß der fromme Wunsch nach Absenkung der Strompreise nur mit umfangreichen öffentlichen Subventionen realisiert werden könnte, wo doch das Drängen von PG&E, San Diego Gas & Electric und SoCalEd auf Deregulierung gerade dem Umstand geschuldet war, daß diese Unternehmen in der Stromerzeugung nicht wettbewerbsfähig waren. Wie sollten sie ihren teuren, aus alten Anlagen gewonnenen Strom in der Konkurrenz mit dem billigeren Marktstrom absetzen können und trotzdem die Verbraucherpreise senken? Hier sah das Gesetz explizit die Finanzierung der Abstoßung dieser Betriebe durch Strompreiserhöhungen vor. Die neuen (höheren) Strompreise sollten dann solange eingefroren bleiben, bis die tief in den Stromrechnungen der Endverbraucher versteckten Umstruktierungskosten (die schließlich oft ein Drittel der Haushaltsstromkosten ausmachen würden) beglichen wären, was darauf hinauslief, daß die Konsumenten zwischen 20 und 28,5 Milliarden Dollar zur Abwicklung der unproduktiven Altkraftwerke zu blechen hatten. Die Beseitigung dieser sogenannten Altlasten (»stranded costs«) stellte einen Akt umgekehrter Piraterie dar, in dem die Freibeuter gleichsam ihren »verstrahlten Schatz« an den Gestaden der Sozietät ablegten und mit geblähter Leinwand in Regionen erhöhter Profiterwartung segelten.

Nach oben gefallener Preis

Kalifornien blieb bei dieser legal abgesegneten Transaktion gelassen. Schließlich hatten die Freibeuter ja fest versprochen, mit billigerem Strom wiederzukehren. Und nun tauchte der unverfroren in aller Öffentlichkeit begonnene Schwindel in die zwielichtige Sphäre unübersichtlicher Unternehmensbilanzen und unberechenbarer Marktkräfte ab. Die vorgeschriebenen Veräußerungen der Kraftwerke fanden oft nur auf dem Papier statt, indem die Kraftwerksbetreiber ihre Unternehmen ganz einfach auf ihre Mutterfirmen überschrieben. Im Vertriebsbereich von San Diego Gas & Electric, welches weniger Kraftwerke zu veräußern hatte und wo daher die Strompreise aufgrund der schnelleren Begleichung der Umstrukturierungskosten bereits freigegeben sind, kauft man schon Strom aus der verheißenen Zukunft. Kurioserweise ist aber der deregulierte Preis nach oben gefallen, und zwar nicht um Bruchteile, sondern ums Dreifache.

Ungünstige Witterungsverhältnisse, ein stark anziehender Erdgasmarkt und das Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum schröpfen nicht nur die Kunden von San Diego Gas und Electric, sondern beeinflussen die Strompreise im gesamten Westen der USA. So werden etwa 13 300 Strombezieher aus Arizona nächsten Monat dreimal höhere Stromrechnungen im Haushaltsbudget unterbringen müssen. Schon beginnen sich die Politiker aus der Region gegenseitig die Schuld am Energiemangel in die Schuhe zu schieben, anstatt der Stromindustrie die notwendigen Beschränkungen aufzuerlegen. Kalifornien bezichtigt die außerhalb des Bundesstaates gelegenen Stromerzeuger des Wuchers und verlangt von der Bundesregierung ein Einfrieren der Strompreise, die Nachbarn kontern mit dem verständlichen Vorwurf, daß es letztlich die verfehlte Energiepolitik Kaliforniens war, die jetzt auch ihre Bevölkerung zur Kasse bittet. Zahlen müssen alle, denn ein Konjunkturrückgang im Sunshine-State träfe auch die Anrainer.

Kosten sozialisiert

Das Erfreuliche an solchen Fehlkalkulationen ist natürlich, daß mitunter auch die einstweiligen Nutznießer von den Folgen erfaßt werden. Die Stromknappheit ließ auch die Stromerzeugerpreise nicht einfach steigen, sondern quantensprungartig in unfaßbare Höhen schnellen. Da jedoch die Endverbraucherpreise für PG&E-Strom noch immer reguliert sind, mußte PG&E gelegentlich Spitzenstrom für 1 400 Dollar pro Megawattstunde einkaufen und für läppische 64 Dollar zustellen. Innerhalb eines halben Jahres erwirtschaftete man so ein Defizit von zwölf Milliarden Dollar, Zahlungen mußten ausgesetzt werden, PG&E-Anleihen sanken zum »junk bond«- Status hinab und örtlich begrenzte Stromabschaltungen waren seit Jahresanfang die Folge. Täglich müssen die Kalifornier mit weiteren Abschaltungen rechnen und umgehen. Wenn man bedenkt, wie mühselig und nervtötend das Neuprogrammieren all der das Leben versüßenden elektronischen Unterhaltungs- und Haushaltsgeräte ist, kann man sich ausmalen, welch Unmut sich in Kalifornien zu regen beginnt.

Weitere Empörung sollte die Tatsache auslösen, daß die Mammutdefizite der Stromzulieferer nicht nur bei den auf ein Anziehen der Stromverkaufspreise setzenden Kraftwerksbetreibern lukrativ zu Buche schlagen, sondern einige dieser Profiteure oft Teilhaber oder Mutterbetriebe der Defiziteure sind. Die Gelder, die nun zum Stromankauf fehlen, flossen als Dividendenausschüttungen ganz legal und geschäftsrechtlich vorgeschrieben in die Taschen der Aktionäre und Anleihenzeichner und könnten jetzt bei einer eventuellen Liquidierung der Betriebe nicht mehr angetastet werden. Edison International zum Beispiel verwandte die Gewinne ihrer Tochterfirma SoCalEd, um sich einen internationalen Energiekonzern mit einem Anlagewert von 15 Milliarden Dollar zusammenzukaufen.

Da nun ausgerechnet die vehementesten Vertreter der freien Marktwirtschaft öffentliche Subventionen fordern, sollte nicht übersehen werden, daß solche infrastrukturellen Krisen keineswegs Naturnotwendigkeiten darstellen. Zumindest zwei sich in öffentlicher Hand befindende Stromerzeuger waren vollkommen immun in diesem Desaster. Die Wasser- und Energiebehörde von Los Angeles und der Gemeindeverbund Sacramento konnten ihre Kunden ohne Preiserhöhung mit Strom versorgen und mit Stromverkäufen sogar ansehnliche Gewinne erzielen.

Dreckschleudern reaktiviert

In Kalifornien geht es nun ums Ganze. Die Kosten des unschätzbaren Schadens dieser Krise sind jetzt zu verteilen. Jede Notverordnung und Gesetzesinitiative entscheidet über die Zuteilung von Milliardenbeträgen. In der Hektik der Schadensbegrenzung ist zu befürchten, daß wiederum die Allgemeinheit für die Endabrechnung aufkommen muß. Der letztlich dominierende Erklärungsansatz für den Grund der Krise und die Strategie ihrer Eindämmung wird buchstäblich Milliarden Dollar wert sein. Die großindustriellen Hasardeure gehen aber noch immer in die Offensive. Schon wird zur Behebung des Energiedefizits die Aufweichung der Schadstoffgrenzwerte gefordert, damit auch jene stillgelegten Dreckschleudern wieder ans Netz gehen können.

Womit sich der Betrugskreislauf wieder schließt, denn genau für das Auslaufen dieser Werke waren die »stranded costs«, jene 28,5 Milliarden Dollar, die am Beginn der Deregulierung den Konsumenten abgeschwatzt worden waren, vorgesehen gewesen. Des Betruges nicht genug, drängt der Gouverneur von Kalifornien, Gray Davis, auf das Abschließen lang befristeter Stromlieferungsverträge, die angesichts der gegenwärtigen Elektrizitätsknappheit wohl zu Preisabschlüssen, die weit über den zukünftigen Erzeugerpreisen liegen werden, führen müssen, da doch auch öffentliche Investitionen in neue Kraftwerkskapazitäten angestrebt werden. Die Wallstreet reagierte prompt auf diese Nachricht und empfahl den Ankauf der seit Bekanntwerden der Liquiditätsprobleme stark eingebrochenen Aktien von PG&E und SoCalEd. Die 400 Millionen Dollar zum Notstromankauf hat Kalifornien immerhin innerhalb von zehn Tagen aufgebraucht und die dabei bezahlten Preise zum Staatsgeheimnis erklärt. Man wolle den Stromerzeugern keine Handhabe zur Preismanipulation geben, wird als Begründung angegeben.

Duldsamkeit getestet

Einmal mehr wird man die Lösungsvorschläge jener Kritiker, die schon seit 1996 vor einer solch krisenhaften Entwicklung warnten, übergehen. Das Anschalten umweltverschmutzender Kraftwerke und der Neubau anderer Großeinheiten wird die notwendige Dezentralisierung und eine auf erneuerbare Energie ausgerichtete, umweltverträgliche Stromversorgung um Dezennien verzögern. Zum Schrecken der Befürworter von Alternativenergien wird ein Steigen der Strompreise sogar die moribunde Atomindustrie wiederbeleben. Über Nacht werden 25 Jahre Kostenanalyse auf den Kopf gestellt und gestern unrentabler Spaltungsstrom avanciert zum Retter in der Not. Die Fähigkeit des Marktes zur »Selbstregulierung« wird Kalifornien teuer zu stehen kommen. Und dies nicht nur in Geldeinheiten.

Nebst ihrer lehrbuchreifen Illustrierung großangelegten Wirtschaftsbetruges mag die Stromkrise in Kalifornien auch als Experiment zur Bestimmung der Duldsamkeit der Bevölkerung dienen. Bei dieser Studie haben auch die Probanden Einsicht in die Ergebnisse, denn der kriminelle Aspekt bei den Machenschaften in Kalifornien wird selbst von bürgerlichen Zeitungen nicht verheimlicht, und des Revoluzzertums unverdächtige Universitätsprofessoren veröffentlichen weit und breit ihre Studien über Strompreismanipulationen. In Kalifornien fanden sie eindeutige Beweise von Produktionsdrosselungen während der Spitzenverbrauchszeiten, womit die Preise künstlich hoch gehalten werden. Ein Vergleich der Stromrechnungen mit den Wirtschaftsstatistiken den Zeitungen erlaubt die Ermittlung des Resignationskoeffizienten. Dessen Wert wird sich auch die Stromindustrie genau ansehen, will man doch auch andere Bundesstaaten mit niedrigeren Strompreisen beglücken. Erst gestern klopfte bei mir in New York ein Vertreter an die Tür, der mir eine zehnprozentige Strompreisermäßigung versprach, sollte ich bei seiner Firma Strom und Gas kaufen. Und ConEd, der derzeitige Monopolzusteller, will mir 25 Dollar Rabatt gewähren, sollte ich mich für diese andere Firma entscheiden.

Aber New York ist nicht Kalifornien. Hier ist der Strompreis schon jetzt so hoch wie der in Kalifornien. Was soll hier also schon passieren?

Unterdessen drohte in Kalifornien den Kunden von PG&E auch die Abschaltung der Gaszufuhr. PG&E hatte vor einer selektiven Gasabschaltung ab Mitte Februar gewarnt, sollte sich die prekäre Finanzlage des Konzerns nicht bessern. Doch das schließlich verabschiedete Soforthilfeprogramm in der Höhe von zehn Milliarden Dollar wird die Energieversorgung in Kalifornien vorerst sichern. Zunächst war die zum Beschluß notwendige Zweidrittelmehrheit um drei Stimmen verfehlt worden. Gouverneur Gray Davis mobilisierte sogar ein Flugzeug der California Highway Patrol, um einen seiner mit Bronchitis darniederliegenden Parteikollegen der Demokraten aus dem Krankenbett zu holen. Die nun bewilligten Gelder wird sich Kalifornien über eine Strompreiserhöhung wieder zurückholen, weswegen die mehrheitlich gegen die Maßnahme stimmenden Republikaner von einer »unbegrenzten Ratenerhöhung« sprachen, mit der die maroden Energieverteiler gesund saniert werden sollen. Mit diesem Beschluß bitten die Volksvertreter die Steuerzahler ein drittes Mal zur Kasse und lassen sich ihre markigen Sprüche zur Verteidigung der Interessen der Allgemeinheit teuer von dieser bezahlen.

Auf nationaler Ebene wiederholt sich dieser Deal. Bei einer Senatsanhörung in Washington, in der die Senatorin von Kalifornien, Dianne Feinstein, das Umfeld für ihre Gesetzesinitiative zum Einfrieren der Energiepreise im Westen sondierte, sprach sie zu den Senatoren: »Gehet heim zu euren Betriebsvorständen und bittet sie: Hört doch auf mit dem Preiswucher. Kalifornien bemüht sich, einen Weg aus dieser Problemlage zu finden. Gebt ihm doch eine Chance!« Die Kapitäne der Stromwirtschaft beteuerten flugs ihre Unschuld an der Preisgestaltung und gaben Kalifornien die Chance, weiter Strom von ihnen zu kaufen. Zu Marktpreisen, versteht sich.

Quelle: Junge Welt Politik 13.2.2001

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