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Zurück zum Pressearchiv Liberalisierung des Strommarktes

Der Gouverneur schläft im Jogginganzug

Seit 30 Tagen bestimmt eine Energiekrise den Alltag im Sonnenstaat Kalifornien. Die Amerikaner müssen dabei eines lernen: Das Motto "immer größer, immer höher, immer weiter" gilt nicht mehr.

Von CORNEL FALTIN

Wenn Kaliforniens Gouverneur Gray Davis, der sich in der Öffentlichkeit normalerweise nur in Maßanzügen zeigt, den Bürgern des größten US-Staates plötzlich detailliert sein Nachtgewand beschreibt, ist das ein untrügliches Indiz für eine Staatskrise von beträchtlichen Dimensionen. Nun also wissen die 34 Millionen Kalifornier, dass ihr Regierungschef sich derzeit nur in Jogginghose, drei T-Shirts, Sweatshirt und dicken Socken eingemummt ins Bett begibt. "Zum Wohl des Staates und als Vorbild", wie der Politiker mit dem Silberhaar sagt. Davis will damit seinen Beitrag zur Lösung der Energiekrise in Kalifornien leisten. Abends, wenn keine offiziellen Gäste mehr im Haus sind, wird die Heizung in der Residenz in der Hauptstadt Sacramento abgeschaltet. Der Demokrat hat seine Angestellten gebeten, im eigenen Haus "mindestens zehn Prozent" Energie zu sparen, um die Lage zu entspannen.

Davis weiß sehr wohl, dass die größte Energiekrise in der Geschichte der USA nicht damit zu beheben ist, dass alle Bürger in Trainingsanzügen schlafen. Ihn selbst hat das Fiasko, das durch die Liberalisierung des kalifornischen Strommarktes 1996 ausgelöst wurde, schon mehr als eine schlaflose Nacht gekostet. Der Deal, den ihm sein republikanischer Vorgänger eingebrockt hat, droht nicht nur die bisher exzellente Reputation und Beliebtheit des 59 Jahre alten Politikers zu zerstören. Sie könnte auch seinen Ambitionen auf das Weiße Haus bei der nächsten Wahl 2004 ein vorzeitiges Ende bereiten.

Auch am 30. Tag, an dem im Goldgräber-Staat "Alarmstufe 3" herrscht, findet man niemanden, der genau sagen kann, wer die Schuld daran trägt, dass es in Nord- und Zentral-Kalifornien immer wieder zu "rolling black-outs" kommt, stundenweisen, kontrollierten Stromausfällen. Davis und die meisten seiner Parteikollegen sehen die Hauptschuld in der Deregulierung des Energiemarktes. Diese war beschlossen worden in der Annahme, dass die Kosten auf dem freien Markt sinken und die Verbraucher davon profitieren würden.

Besonders durch die Ansiedlung von zahllosen neuen, energieintensiven Hightech-Firmen in den vergangenen Jahren stieg die Nachfrage nach Strom sprunghaft. Die Preise schossen in die Höhe. Während die Stromerzeuger mit dem Geldzählen nicht nachkamen, gerieten die Lieferfirmen, die immer noch durch gesetzliche Obergrenzen eingeschränkt sind, zunehmend in Schwierigkeiten. Als die Versorger mit zwölf Milliarden Dollar (etwa 25 Milliarden Mark) in der Kreide steckten und zahlungsunfähig waren, drohten die Erzeuger mit dem Stopp der Strom- und Gaslieferungen.

Um einen völligen "black out" zu verhindern, sprang der Staat in die Bresche. In nächtelangen Krisensitzungen suchten Regierung und Abgeordnete nach Lösungen und Schuldigen. Vorwürfe, dass die Strom- und besonders die Gasfirmen die Situation durch künstliche Verknappung der Vorräte vorsätzlich verursacht haben, weisen Anwälte von "El Paso Natural Gas Co.", dem größten Gas-Erzeuger der USA, entschieden zurück. Sie nennen "heiße Sommer, kalte Winter, hohen Verbrauch und geringe Reserven" als Gründe für die Krise.

Mit einem Zehn-Milliarden-Dollar-Hilfspaket, das durch den Verkauf von festverzinslichen Wertpapieren finanziert werden soll, hofft Davis die Situation nun in den Griff zu bekommen. Mit dem Geld sollen die maroden Lieferfirmen wieder in die Lage versetzt werden, Strom zu kaufen und neue, langfristige Verträge abzuschließen - allerdings nach genauer Anweisung der Regierung. Als Sicherheit werden die Versorger dem Staat dafür vermutlich ihre Transformatoren und 42 000 Kilometer Stromleitungen überschreiben müssen. Das ursprüngliche Ziel, die Energieversorgung völlig dem freien Markt zu überlassen, wird ad absurdum geführt. Plötzlich greift der Staat nicht nur regulierend ein, sondern wird zum Teil der Energiewirtschaft.

Das Problem der amerikanischen Energiekrise, das in Kalifornien explodierte, aber auch vielen anderen US-Staaten droht, liegt tiefer als die Frage, ob Strom und Gas staatlich reguliert werden oder nicht. Richard Wilk, Anthropologie-Professor an der Universität von Indiana, der sich seit Jahren mit der "globalen Konsumkultur" beschäftigt, sieht eine der Hauptursachen für die Misere in einer Sucht der Amerikaner nach Konsum. "Das ist keine psychologische Sucht, sondern eine kulturell bedingte", erklärt Wilk und fährt fort: "Unsere Kultur ist so gepolt, dass wir immer mehr und mehr verbrauchen möchten. Wir sehen billige Energie als ein Grundrecht an, wie Freiheit oder Unverletzlichkeit."

Daniel Kammen, Leiter des Instituts für wiederverwendbare Energie an der Universität Berkeley, stößt ins gleiche Horn: "Wir sind anscheinend besessen von dem Gedanken, dass größer immer besser ist. Hoher Verbrauch wurde und wird bei uns immer noch gefördert. Energie- und Autofirmen haben über Jahrzehnte sehr hart daran gearbeitet, die Leute davon zu überzeugen, dass mehr Verbrauch gleichzeitig mehr Komfort bedeutet."

Auch heute wird noch immer gepredigt, dass das beste Haus ein Palast mit vielen Zimmern und Bädern und mit mindestens zwei Kühlschränken sowie mehreren Fernsehern ist. "Die Botschaft lautet", so Howard Geller, Präsident des "American Council for an Energy Efficient Economy", einer Lobbygruppe zur Einsparung von Energie, "wir haben das gottgegebene Recht auf billige Energie und dürfen als Amerika groß träumen. Große Häuser. Große Autos. Große Straßen."

Mit rund 14 000 Kilowattstunden pro Person verbrauchen die USA rund doppelt so viel wie Deutschland (6000), Frankreich (7175) und England (5800). Sie liegen damit allerdings noch deutlich hinter Norwegen (25 304), Kanada (16 349) und Schweden (15 492). Innerhalb der USA gelten die Bewohner Kaliforniens in punkto Energieverbrauch als vorbildlich. Nur Hawaii, New York und Rhode Island haben einen niedrigeren Pro-Kopf-Verbrauch. Das liegt zum einen an den milden Temperaturen, die sowohl Klimaanlage als auch Heizung meist unnötig machen, aber auch am Umweltbewusstsein der Kalifornier, das überdurchschnittlich hoch ist.

Gary Gerber, Elektriker in der Universitätsstadt Berkeley, der sich auf die Installation von Sonnenkollektoren, Windrädern und anderen alternativen Energiequellen spezialisiert hat, brauchte sich schon vor der Energiekrise nicht über mangelnde Arbeit zu beklagen, aber jetzt steht sein Telefon kaum noch still. "Wenn die Lichter ausgehen", meint er lachend, "geht vielen Leuten ein Licht auf." In Nordkalifornien, wo sich jede Menge Aussteiger, Ex-Hippies und Alternative angesiedelt haben, gibt es inzwischen 8000 Häuser, die sich völlig eigenständig mit Strom versorgen. Südöstlich von San Francisco haben kleinere Stromerzeuger in den letzten 20 Jahren über 7000 riesige Windräder installiert, die Elektrizität zu einem Bruchteil des augenblicklichen Marktpreises erzeugen können. Die Kapazitäten sind jedoch beschränkt.

In der Region um San Francisco, Oakland und San José sehen viele Menschen mit mittleren und geringen Einkommen oftmals ihre Existenz bedroht. Wo die hohen Mietpreise nicht selten die Hälfte des Verdienstes auffressen, stellen Strom- und Gasrechnungen, die innerhalb eines Jahres um teilweise mehr als 300 Prozent gestiegen sind, die Leute oft vor unlösbare Probleme. Marcia Folson, die ein Zwei-Zimmer-Apartment in San Francisco hat, beklagt sich heftig: "Es ist schon brutal, wenn man plötzlich statt 50 Dollar 170 für Strom zahlt." Sie versucht, die Stromkosten durch Energiesparbirnen, zusätzliche Isolierungen und mit Hilfe der "Gouverneur-Davis-Methode" zu senken. Nicht immer einfach, wenn in der gewöhnlich sonnenverwöhnten Region wie in diesen Tagen Dauerregen und Temperaturen um lausige 13 Grad herrschen.

Gouverneur Gray Davis, der unter anderem angeordnet hat, dass Polizisten ab 15. März Strafzettel über 1000 Dollar ausstellen, wenn Geschäfte nachts zu viele Lampen brennen haben und der Glühbirnen in allen Ampeln im Staat gegen eine stromsparende Version auswechseln lassen will, verspricht, dass es im Sommer nicht - wie von vielen befürchtet - zum totalen Zusammenbruch des Strommarktes kommen wird. Der Demokrat möchte dafür sorgen, dass in Kalifornien, wo seit zehn Jahren kein größeres Kraftwerk mehr gebaut wurde, bis zum August mindestens 5000 Megawatt (genug für vier Millionen Häuser) zusätzlich produziert werden.

Längst ist die Energiekrise zu einem Politikum ersten Ranges avanciert, das Umweltorganisationen, Parteien und die Industrie gleichermaßen zu ihren Gunsten ausschlachten. Umweltaktivisten sehen in der Misere einen Weckruf dafür, dass die Amerikaner endlich dem europäischen Beispiel folgen und sich von großen Autos, Häusern und Straßen verabschieden sollen. Die Industrie verdammt den strengen Umweltschutz und die ihrer Meinung nach übertriebenen Luftschutzbestimmungen, die unnötig viel Energie verbrauchen und damit zur Krise beigetragen haben.

Für den neuen US-Präsidenten George W. Bush ist das Energie-Fiasko in Kalifornien ein Geschenk Gottes. Der ehemalige Öl-Geschäftsmann bedient sich dessen als Argumentationshilfe, warum unbedingt neue Öl- und Erdgasquellen in den USA erschlossen werden müssen, auch wenn sie in Naturschutzgebieten liegen. Parlamentariern in Washington erzählte Bush, dass es vermutlich nie zur Energiekrise in Kalifornien gekommen wäre, wenn man im größten US-Landschaftsschutzgebiet im Norden Alaskas Öl fördern könnte. Dass zwischen Golden-Gate-Brücke und Disneyland nur 0,6 Prozent der Energie aus Öl gewonnen werden, sagte er nicht.

Bush verschwieg auch, dass er erst tags zuvor eine böse Abfuhr aus einem anderen Sonnenstaat, nämlich Florida, bekommen hatte. Dort will er vor der Küste Gasvorräte anzapfen, die angeblich alle US-Haushalte eineinhalb Jahre mit Energie versorgen können. Der Gouverneur Floridas, sein eigener Bruder Jeb Bush, der um eine Verschmutzung des Meeres und seine Wiederwahl im kommenden Jahr bangt, erteilte ihm eine klare Absage und gab ihm den brüderlichen Rat, "mehr Geld für die Erforschung von alternativen Energiequellen" bereitzustellen. Nach Meinung von Bruder George keine gute Idee. Der Präsident ließ eben erst anordnen, dass das Energieministerium in Washington eine Milliarde Dollar freigibt, die von seinem Vorgänger für die Beseitigung von Umweltschäden und zur Erforschung alternativer Energiequellen im Bundeshaushalt veranschlagt worden waren.

Quelle: Hamburger Abendblatt Politik 14.2.2001

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